Predigten am Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag 2024 
                                                                                                          



1.28.03.20204

Predigt am Gründonnerstag B24

1 Kor 11,23-26

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wir feiern Gründonnerstag. Das Letzte Abendmahl. Christus hat vor seinem Tod ein Mahl gestiftet als Gedächtnismahl an sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung. Und ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass das, was wir hier tun, nämlich dieses Mahl feiern, von immer größerer Bedeutung wird.

2. Wir erleben in unseren Tagen, dass Völker und ganze Gesellschaften sich immer mehr zerfleddern in gegnerische bis feindliche Gruppierungen. Dazu zählen nicht nur die Kriege unserer Tage, das Gegeneinander von Ideologien, alten Feindschaften, das Aufbrechen von vergangenen Verletzungen wie in Palästina oder Israel, dazu zählen auch radikale rechthaberische Ansichten, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen, wie in den USA mit Donald Trump oder bei uns mit der AfD. Solche Strömungen sind geeignet, ganze Gesellschaften zu spalten, Feindschaften hervorzurufen und bis tief in die Familien hinein für Streit und Kampf zu sorgen. Wir werden – so mein Eindruck – immer unversöhnlicher. Viele gehen auf die Straße und müssen wieder betonen, dass die Menschheit vielfältig und bunt ist und dass alle gleich sind: Zu meiner Zeit als Jugendlicher war das selbstverständlich. Dass man wieder davon sprechen muss, zeigt, dass es nicht mehr selbstverständlich ist. Wenn ich mit dem Auto durch eine Ortschaft fahre und am Ortseingangsschild steht in Hinweis wie: „Wir sind für Vielfalt“, dann denke: Hier stimmt was nicht. Denn das sollte eigentlich selbstverständlich sein und bräuchte nicht betont zu werden.

3. Und da feiern wir Christen heute Abend einfach nur ein schlichtes Zeichen. Wir feiern ein Mahl. Und wir tun dies selbst über alle Spaltungen und Verschiedenheiten hinweg. Katholiken und Evangelische, auch freikirchliche Christen, orientalische Christen, feiern das Letzte Abendmahl, sitzen also an einem Tisch und verkünden dadurch, dass wir über alle Verschiedenheit hinweg einen tiefen Grund unserer Einheit haben: Die Hingabe Jesu im Leben und Sterben. Sein Tod, seine radikale Hingabe an uns bis in den Tod hinein ist der Grund unserer Einheit, nicht unser Bestreben nach Einheit. So geben wir heute Abend der Welt ein Zeugnis, wie eine Einheit in Verschiedenheit möglich ist: Durch Christus, nicht durch uns. „Denn sooft ihr von diesem Brot und esst und von diesem Blut trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn“. Seine Selbstgabe an uns macht die Einheit trotz so vieler Verschiedenheit. Heute Abend sitzen Abermillionen Menschen zusammen an einem Tisch und gedenken des Lebens und Sterbens Jesu Christi. „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“

4. Es ist ein Gedächtnis, dass nicht im Geiste vollzogen wird, sondern durch konkretes Handeln. Die Kommunion, die Gemeinschaft muss vollzogen werden: Inmitten unseres Alltags, inmitten so mancher Trostlosigkeit, so oft konfrontiert mit schlechten und düsteren Nachrichten, inmitten von Enttäuschungen, Schmerzen und Ängsten, vielleicht sogar inmitten von manchen Hass und mancher Unversöhnlichkeit: Wir vollziehen dieses Mahl Christi, weil wir uns ihm verpflichtet wissen, weil seine Versöhnung stärker ist als unsere Unversöhnlichkeit, weil diese Kommunion stärker ist als alles, was uns trennt. Wir feiern das Mahl der Versöhnung.

5. Versöhnung kommt aber nicht von selbst. Dieses Mahl schenkt uns einen neuen Geist. Es ist der Geist, den Jesus bei der Fußwaschung gezeigt hat: Er macht sich zum Diener für die Menschen. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“. Und somit wird dieses Mahl nun vollends zu einer Kommunion, zu einem Zeichen der Gemeinschaft inmitten einer zerrissenen Welt. Nicht, dass wir Christen immer ein Herz und eine Seele wären, nicht dass wir immer eine perfekte versöhnte Gemeinschaft wären. Dennoch feiern wir heute Abend weltweit dieses Mahl, weil Versöhnung und Gemeinschaft ihren Grund eben nicht bei uns haben, sondern in Christus, der uns mit sich versöhnt hat. So könnte tatsächlich dieses Mahl als Modell einer versöhnten Gemeinschaft für viele wieder ein Zeichen sein, die unter der Unversöhnlichkeit, unter Hass und Streit, unter Rechthaberei und Ausgrenzung besonders leiden. Wir Christen schaffen es immerhin, weltweit heute Abend an einem Tisch zu sitzen.

29.03.2024

Predigt am Karfreitag B24

Markuspassion

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Sie gehört wohl zu den großen Fragen der Theologie: Warum ging Jesus freiwillig in den Tod? Denn an der Freiwilligkeit seines Todes kann man nach all dem, was uns überliefert ist, kaum zweifeln. Die Theologie hatte im Nachhinein als spätere Erklärung eine furchtbare Antwort gefunden: Er starb für uns. Wegen unserer Sünden. Noch heute stehen solche Lieder im Gesangbuch: „Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last; ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast.“ Oder: „Was ist doch wohl die Ursach‘ solcher Plagen? Ach, meine Sünden haben dich geschlagen. Ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet. Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe.“ Dahinter steht die Vorstellung, dass Jesus sich zum Opfer bringt, um den durch unsere Sünden erzürnten und beleidigten Gott zu besänftigen. Jesus sei das Sühneopfer, das wegen unserer Sünden dem beleidigten Gott dargebracht werden muss, damit dieser von seinem Zorne ablasse. Es ist die gleiche Logik, mit der Tieropfer als Sühnopfer im Tempel zu Jerusalem dargebracht wurden. Lämmer wurden deshalb geschlachtet. Und nicht umsonst hat man Jesus als „Lamm Gottes“ bezeichnet. Er selbst hat nie so von sich gesprochen, im Gegenteil: Er war gegen jede Art von Opfer, die dem Zweck dienen, Gott zu besänftigen. Er hat genau aus diesem Grund im Tempel randaliert. Nein, nicht ich habe das verschuldet, was da vor 2000 Jahren auf Golgotha geschehen ist und auch ich bin nicht Ursach‘ dieser „wunderbarlichen Strafe“. Ganze Generationen haben unter dieser furchtbaren Vorstellung gelitten. Ein fürchterliches Gottesbild: Ein Gott, der den Tod seines Sohnes verlangt, damit Gott wieder versöhnt ist mit der Menschheit.

2. Warum aber ging Jesus freiwillig in den Tod? Es gibt in der Tat Antworten, die mich überzeugen und die den Geist einer neueren Theologie atmen, jenseits dieser furchtbaren Gottesvorstellung. Eine Antwort wäre – obwohl ich diese nicht für die wahrscheinliche halte, obgleich sie dennoch interessant ist – dass Jesus in den Tod ging, weil er glaubte, dass Gott sich als mächtig erweisen wird und ihn vor dem Sterben rechtzeitig bewahren werde. Er ging – so die Vermutung – in den Tod in einer ganz großen Hoffnung und einem tiefen Vertrauen, Gott werden ihn schon retten und sich vor allem nun zeigen. Gott könne ja seinen eigenen Sohn nicht im Stich lassen. Wenn dies so wäre, dann bekäme der Satz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, einen ganz tiefen Sinn. Es ist der Aufschrei eines Menschen, der zutiefst von Gott enttäuscht wurde und der jetzt die ganze Vergeblichkeit seines Lebens vor Augen hat. Und dann verstehen wir auch den Schluss dieser Passionserzählung nach Markus: „Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er sein Geist aus.“ Da ist nichts Beschönigendes, kein „Es ist vollbracht“, sondern nur dieser laute Schrei. Nach Gott? Wenn dem so wäre, dann hätte zumindest Jesus an Leib und Seele durchlitten, was viele Menschen durchlitten haben und durchleiden: Eine tiefe Gottesenttäuschung und ein verstörendes Gefühl der Gottverlassenheit und damit verbunden die furchtbare Angst, es könnte im Leben alles vergeblich gewesen sein. Jesus war so am Kreuz auch ganz Mensch geworden, weil das alles zu unserem Menschsein dazugehört.

3. Dennoch spricht mir eine andere Antwort mehr zu: Jesus hat sich ganz seiner Sendung der Liebe und der Versöhnung hingegeben. Diese Liebe war bei Jesus immer Ausdruck der Liebe Gottes. Und diese Liebe und Versöhnung Gottes zeigt er allen Menschen, gerade denen, die an diese nicht mehr glauben mochten. Jesus musste aber dann auch diese Liebe hineintragen in den Hass seiner Gegner. Jesus konnte nicht nur predigen: „Liebt eure Feinde“, ohne dies auch selbst getan zu haben. Jesus lieferte sich der Hinrichtung aus, um im Dunkel des Hasses und der Gewalt seine Liebe zu zeigen. Er wollte zeigen, dass selbst in diesem Abgrund die Liebe Gottes gegenwärtig ist. Und es ging um die Glaubwürdigkeit seiner Botschaft und seiner Sendung. Er musste diese Liebe und diesen Versöhnungswillen Gottes auch dort zeigen, wo sonst nur Hass und Gewalt regieren.

4. Egal, welche Vermutung wir mehr annehmen, ob die erste oder die zweite: Eins haben beide gemeinsam: Und das ist das, was die neuere Theologie zu der Deutung des Todes Jesu heute sagt: Er ist immer Ausdruck einer tiefen Liebe und Solidarität Gottes mit uns Menschen. Dass Gott in Jesus Mensch geworden ist, dass er also in Jesus sein unbedingten Liebeswort ausgesprochen hat, musste bedeuten, dass Jesus ganz Mensch wurde, mit allem, was dazu gehörte. Ob er zutiefst von Gott enttäuscht wurde, weil er ihn nicht vor dem Sterben bewahrt hatte, auch das gehört zum Menschsein, oder ob er seine Liebe glaubwürdig auch noch vor denen zeigen wollte, die ihn ans Kreuz nagelten: Es geht um diese Liebe, die sich ganz eins macht mit den Menschen, selbst noch mit denen, die ganz Böses von ihm wollten. Am Kreuz lesen wir ab, wie Gott diese Welt liebt. Ich bin nicht schuld an seinem Tod, aber ich bin der, zu dem Christus dieses Liebeswort spricht: Ich werde dich nie verlassen, selbst im Kreuz nicht.

31.03.2024

Predigt an Ostern B24

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wenn wir heute mit der Kirche das Auferstehungsfest feiern und wenn wir mit der Kirche bekennen: „Jesus ist von den Toten auferweckt worden“, dann ist das nicht einfach nur ein Bekenntnis, ein Satz, der auch im Glaubensbekenntnis vorkommt, sondern dann ist das gleichzeitig etwas Ungeheuerliches. Denn wir bekennen damit ja auch, wie es in der Schrift heißt, dass wir mit ihm auferweckt sind. Und spätestens an dieser Stelle wird aus dem einfachen Bekenntnis ein Satz, der uns unmittelbar betrifft. Und damit ändert sich alles. Es macht einen Unterschied, ob ich einfach nur einen Satz bekennen („Ich glaube an die Auferstehung der Toten“) oder ob ich mich unmittelbar von der Tiefe dieser Aussage betreffen lasse. Wenn wir also heute Ostern feiern, dann feiern wir etwas, das zutiefst unsere Existenz betrifft.

2. Auferstehung oder ewiges Leben, egal wie immer wir das benennen möchten, was uns hier zugesagt ist, ist keine Mitgift der Natur. Ich bin nicht natürlicherweise auf Ewigkeit hin angelegt. Natürlicherweise, als Produkt dieser Erde und einer Milliarden Jahre währenden Evolution gehe ich den Weg aller Dinge, den Weg der Vergänglichkeit und des Sterbens. Um an mich den Satz „Auferstehung der Toten“ heranzulassen, muss ich gewahr werden, dass ich offensichtlich mehr bin als ich biologisch sein kann. Ich muss bestürzt oder erschüttert oder staunend an mich heranlassen, dass es mein Leben mit einer völlig anderen Wirklichkeit zu tun bekommen hat, die nicht von dieser Welt ist. Mein Leben ist in Berührung gekommen mit einer göttlichen Dimension, mit etwas, was weit größer ist als ich selbst, mit jemand, den wir Gott nennen, eine unverfügbare und alles übersteigende Wirklichkeit. Nur wenn mein Leben damit in Berührung ist, kann ich von mir selbst die Auferweckung von den Toten bekennen. Karl Rahner hat es etwa so formuliert, dass die Gottheit in mein Leben hineinstürzt und ich somit ganz in seiner Liebe umfangen bin, auf ewig. Von den Frauen am Grab wurde berichtet, dass sie, nachdem sie das leere Grab vorfanden, vor Schrecken und Entsetzen geflohen sind und niemandem davon erzählt haben. Es ändert sich unser Leben schlagartig, wenn ich über meine biologische Körperlichkeit hinausschaue auf die göttliche Wirklichkeit, in der ich lebe und die mich erfasst hat. Ich bin weit mehr als ich von mir ahne, wenn ich die Auferweckung der Toten bekenne. Was aber heißt das?

3. Die Tradition unterschied zwischen Körper und Seele, zwischen dem rein Biologischen und dem eigentlichen Wesen meiner Person, welches die Biologie übersteigt. Aus den Kommunikationswissenschaften haben wir gelernt, dass der psychische Ausdruck meiner Person der Leib ist. Leib ist mehr als Körper. Körper ist Biologie, der Leib aber ist Ausdruck meiner Seele. Der Leib ist dasjenige, mit dem ich Mensch bin. Leib ist die Gesamtheit meiner interpersonalen Bezüge, meines Seins, meiner Kommunikation mit der Welt. Leib ist meine eigentliche Identität, die Verwirklichung der Grundidee meines Lebens. Wer ich wesentlich bin, wird in meinem Leib verwirklicht. Der Körper ist die biochemische Materialität, durch die sich mein Leib verwirklicht. Dieser Körper verfällt, wer ich aber im Wesen bin, was sich durch meine Leibhaftigkeit verwirklicht hat, wie selbst Gott leiblich mit mir als leibliches Wesen kommuniziert hat, das bleibt. Der Leib ist sozusagen die Verortung meiner Gemeinschaft mit Gott, da er selbst einen Leib angenommen hat. Leibliche Auferstehung meint eben nicht körperliche Auferstehung. Leibliche Auferstehung meint eben, dass der, der ich als Mensch wesentlich bin, meine eigentliche Identität, nämlich einer, in dessen leibliche Gestalt Gott gegenwärtig ist, ganz in Gott bleiben werde für immer.

4. Ich bin mehr als ich an mir wahrnehme oder gar ahne. Die ganze Ewigkeit Gottes ist in meine Zeitlichkeit hineingestürzt, das Leben Gottes in meine Sterblichkeit, die Fülle Gottes in meine Begrenztheit. Das Christentum, aber auch andere Religionen, kennen für dieses Geheimnis verschiedene Bilder: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, „Ich bin das lebendige Wasser, wer daraus trinkt, hat das ewige Leben“, „Ihr habt den Geist Gottes empfangen, der euch zu Kindern Gottes macht“, usw. Ostern ist also weit mehr als ein Bekenntnis, es ist der Glaube und das Vertrauen, dass es mein Leben mit der Liebe Gottes und der Wirklichkeit Gottes zu tun bekommen hat, bis in meine Leiblichkeit hinein.