Predigt am 29. Sonntag im Jahreskreis B24

                                                                                          Mk 10,35-45

20.10.2024

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wir Menschen sind wohl so gebaut, und das ist sicherlich auch etwas Gutes, dass wir im Leben etwas erreichen wollen. Dabei geht es natürlich auch darum, Anerkennung zu bekommen, aber auch Verantwortung zu übernehmen, sich sozusagen durch das eigene Tun ein Stück auch zu verwirklichen, jemand zu sein. Aber genau darin liegt immer auch eine Gefährdung des Menschen, die sich in den Worten Jesu ausdrückt: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen“. Das ist die Gefahr: Auf Kosten anderer sich Geltung zu verschaffen. Jesus ist da ganz realistisch, denn zu seinen Lebzeiten erfuhren die Menschen die römische Besatzungsmacht als ein unterdrückendes Regime. Selbst seine Jünger träumen von solchen machtvollen Positionen. Sie haben alles verlassen und wollen nun aber auch etwas erreichen: „Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den anderen links von dir sitzen“. Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, erhoffen sich herausragende Positionen, wenn Jesus sein Reich, dass hier wohl ganz irdisch verstanden wird, aufrichten wird. Sie möchten stolz sein, dann auch etwas erreicht zu haben. Dass sie alles verlassen haben, sollte nicht vergeblich sein. Da muss am Ende etwas herausspringen. Jesus weiß aber um die Gefahr solchen Denkens. Und stellt eine völlig konträre Haltung dazu auf:

2. Er fragt zunächst die Beiden: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ Übersetzt heißt das: Könnt ihr eine Hingabe leben, wie ich sie gelebt habe? Könnt ihr eine Liebe leben, die sich hingibt bis in den Tod? - „Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist“. Übersetzt: Die Plätze vergibt nicht Christus, sondern werden denen vergeben, die in der Haltung Jesu leben.

3. Hier haben wir also zwei völlig konträre Lebenshaltungen: Die, die um der Anerkennung und Geltungssucht willen ihre Macht missbrauchen und andere unterdrücken und jene Haltung Jesu, die sich in dem Satz ausdrückt: „Bei euch aber soll es nicht so sein. Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein und wer bei euch der erste sein will, der soll der Sklave aller sein.“ Was ist damit gemeint?

4. Der Neutestamentler Gerhard Lohfink machte darauf aufmerksam, dass das Wort „Dienen“ seine ursprüngliche Bedeutung „im Aufwarten bei Tisch“ hat, also im täglichen Tischdienst. Der Tischdienst galt als etwas Minderwertiges. Deshalb war es die Aufgabe der Sklaven, insofern man sich Sklaven leisten konnte, den Tischdienst zu verrichten. Somit ist es bestimmt kein Zufall, wenn Jesus oft mit Sündern und Zöllner Mahlgemeinschaft suchte. Ob er sich dort hat auch bedienen lassen, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass Jesus beim letzten Abendmahl sein Gewand auszog und der Reihe nach den Jüngern die Füße wusch. Er verrichtet einen ausgesprochenen Sklavendienst. Gerade in diesen Tischgemeinschaften entstand etwas Neues, neue Gemeinschaft, neue Gesellschaft, neue Hoffnung. Jesus ist kein Revolutionär im üblichen Sinn, aber seine Haltung und sein Beispiel haben etwas völlig Überraschendes, völlig Neues, und somit etwas Umstürzendes.

5. Nicht umsonst haben sich die Christen dann auch zu Mahlgemeinschaften zusammengefunden und haben dort zu ihrer eigenen Überraschung festgestellt, wo der Geist Jesu ist, da entsteht Neues. Aus allen sozialen Schichten, Völkern und Ständen kamen Menschen an dem einen Tisch zusammen, an dem Christus lebendig unter ihnen ist und lassen sich von seinem Geist beseelen. So wurden die kleinen Gemeinden wie Sauerteig, dass die Gesellschaft durchsäuern sollte. Nichts anderen tun wir bis heute. Gebe Gott, dass sein Geist uns mehr und mehr erfülle.

Franz Langstein