Lk 6,39-45
02.03.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
Ein kurzes Vorwort zum heutigen Evangelium:
Was wir jetzt hören werden, klingt doch sehr belehrend. Kurze, klare Sätze mit belehrendem Unterton. Und in der Tat: Das, was die Evangelisten aufgeschrieben haben, sind ja nicht einfach nur Erinnerungen an das Leben Jesu, sondern sie haben es aufgeschrieben für eine bestimmte Zielgruppe: Eine christliche Gemeinde. Und diese soll unterwiesen werden. Die Evangelien sind so eine Art „Katechismus“, Glaubensunterweisung.
Evangelium Lk, 6,39-45
Predigt am 8. Sonntag im Jahreskreis C 2025
1. „Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in die Grube fallen?“ So fängt das heutige Evangelium an. Es scheint um das Thema „Führung, Leitung“ zu gehen. Wohl im religiösen Sinn um geistliches Leiten, spirituelle Führung, also um Wachstum im Glauben und Menschen, die dazu anleiten sollen. Offensichtlich gibt es hier wohl spirituelle Leiter, vielleicht sind Gemeindeleiter gemeint, die geistlich blind sind und deshalb unfähig, andere Menschen im Glauben zu führen. Ganz ähnlich wie in der Emmausgeschichte: Jesus geht mit den Emmausjüngern. Sie erkennen ihn aber nicht. Sie sind wie mit Blindheit geschlagen, heißt es dort. Und jetzt führt Jesus sie aus der Blindheit zum Sehen. Am Ende heißt es: „Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn.“ Um dieses Sehen geht es. Um ein neues Erkennen der Wirklichkeit im Glauben. Im Licht des Glaubens sehen wir die Dinge neu, anders, tiefer. Es ist alles nicht immer so, wie es vordergründig erscheint.
2. Was ist vor allem das Neue? Das Neue besteht in dem, was Jesus gebracht hat. Es ist die bedingungslose Liebe Gottes, die Gnade Gottes, seine verschwenderische Liebe zu den Menschen. Das ist im Gegensatz zur einer Leistungsreligion, in der zuerst die Leistung des Menschen vor Gott zählt, eine echte Befreiung – eine Befreiung aus der Angst vor Gott, aus der Angst vor dem Versagen, eine Befreiung aus dem permanenten Gefühl, immer noch nicht genug getan zu haben, und somit eine Befreiung aus den Schuldgefühlen. Im Licht des Glaubens sehe ich mein Leben neu: Begnadet. Es geht jetzt nicht mehr darum: Wer ist leistungsstärker und somit glaubensstärker? Sondern es geht darum: Erkennen wir uns alle an als unter der gleichen Gnade stehend und unter demselben Segen Gottes lebend. Eine neue Geschwisterlichkeit macht sich breit. Das muss man zuerst sehen, deshalb: „Der Jünger steht nicht über seinem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein“
3. Und jetzt kommt die Konsequenz daraus: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ Wenn alle unter der Gnade Gottes leben, dann braucht keiner etwas vorweisen, um diese Gnade zu rechtfertigen oder gar zu verdienen. Der Mensch kann mit seinen Beschränkungen und Unvollkommenheiten leben. Der Balken im Auge meint genau dies: Die eigene Beschränktheit zu sehen. Ein Balken kann ja wie eine Schranke sein, eine Grenze, also die eigene Begrenztheit zu sehen. Es gibt eine Geschwisterlichkeit in der Begrenztheit, in der Unvollkommenheit, im Angewiesensein auf die Gnade Gottes. Es gibt eine Gleichheit aller Menschen in der Tatsache, dass alle unvollkommen sind oder – wie es einmal Paulus gesagt hat: „Alle haben gesündigt, also hat Gott sich aller erbarmt.“
4. Zur geistlichen Führung gehört, dass man Menschen hilft, sich im Glauben und im Leben weiterzuentwickeln. Dazu gehört, dass man hin und wieder jemanden sagen muss, was er hätte besser machen können oder worin er gefehlt hat. Durch Fehler lernt man. Aber der, der andere kritisiert, darf dies nie tun aus einer Überlegenheit heraus, sondern immer auch im Wissen um die eigene Unzulänglichkeit, also um das Wissen des eigenen Balkens, also auch um das Wissen der eigenen Beschränktheit der Sichtweise. Ein Kritisieren von oben herab ist immer schwierig. Ein besserwisserisches Daherkommen ist schwer anzunehmen. Zumal es auch Leute gibt, die jede Kritik als persönlich auffassen und nicht unterscheiden können zwischen Sache und Person.
5. „Kann ein Blinder einen Blinden führen?“ war die Ausgangsfrage Jesu. Geistliches Wachstum heißt also: sich einüben in die neue Sichtweise des Lebens, die aus dem Glauben kommt und wohltuend sich auswirken kann auf eine Gemeinde.
Franz Langstein