St. Johannes Evangelist, Kugelkirche
Predigt am 4. Sonntag im Jahreskreis A2023
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Die Seligpreisungen – ein uns sehr vertrauter, vielleicht
auch allzu vertrauter Text, so dass er seine Kraft und Stärke zu verlieren
droht. Ich möchte mit Ihnen die Seligpreisungen einmal ganz anders lesen. Denn
so, wie wir sie hören, können sie vollkommen missverstanden werden. Wie meine
ich das? Nehmen wir als Beispiel: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden
Erbarmen finden“. Dieser Satz könnte so verstanden werden: „Wenn du barmherzig
bist, wirst auch du Erbarmen finden“. Das sind so gefährliche Wenn-dann-Sätze.
Nur wenn du, dann erhältst du. Das ist mit der Botschaft Jesu nur schwer in
Einklang zu bringen. Jesus kennt solche Konsekutivsätze nicht. Er lehrt die bedingungslose
Liebe Gottes. Deshalb möchte ich mit Ihnen die Seligpreisungen einmal anders lesen,
sozusagen von hinten her. Es wird sich dabei Überraschendes zeigen für unser
Verständnis. Also fangen wir an.
2. Hier heißt
es:
- „Selig,
die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“. Jetzt lesen wir
einmal von hinten her: „Selig, denen das Himmelreich gehört, denn sie dürfen
arm sein vor.“ Merken Sie, was jetzt passiert? Wenn ich mir im Glauben
bewusst bin, dass ich ganz und gar von Gott und mit Gott beschenkt mit,
dass mir also das Himmelreich gehört, dann kann ich vor Gott arm sein,
dann muss ich nicht mir einen abstrampeln, um Verdienste vor Gott anzuhäufen.
Dann komme ich nicht in ein Räderwerk der Angst vor Gott, weil ich immer
noch nicht genug getan habe. Ich werde selig, da ich mich von Gott
beschenkt weiß: „Selig, denen das Himmelreich gehört, sie dürfen arm sein vor
Gott“.
- „Selig
die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ Von hinten gelesen: „Selig,
die getröstet sind, denn sie werden anders trauen“. In ihrer Trauer liegt
schon der Trost der Ewigkeit, nicht die Verzweiflung der ewigen
Finsternis. Ihre Trauer ist eine selige, von göttlichem Licht
durchflutete.
- „Selig,
die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben“. Von hinten
gelesen: „Selig, die das Land geerbt haben, sie brauchen keine Gewalt anwenden“.
Die nächste Seligpreisung verdeutlicht das noch: „Selig, die hungern und
dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden“. Also: „Selig,
die satt sind, man kann auch sagen, denen es gut geht, die also im inneren
Frieden leben, denn sie werden dürsten nach Gerechtigkeit.“ Um für Frieden
und Gerechtigkeit einzutreten, muss man die Erfahrung von Frieden und
Gerechtigkeit gemacht haben. Man muss dies als einen kostbaren Schatz
erfahren haben, um sich auch für andere stark zu machen, die nicht im Frieden
leben können.
- „Selig,
die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“. Umgekehrt wird der Satz
richtig schön: „Selig, die Barmherzigkeit gefunden haben, denn sie werden
barmherzig sein." Ein alter Grundsatz: Man kann Güte, Liebe und Barmherzigkeit
nur geben, was man es selbst empfangen hat.
- „Selig,
die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“. Andersherum: „Selig,
die Gott schauen, denn sie werden ein reines Herz haben“. Der Mensch, der
Gott im Herzen trägt, der innerlich in der Gegenwart und im Bewusstsein
Gottes lebt, dessen Herz wird erfüllt sein vom göttlichen Glanz.
- „Selig,
die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das
Himmelreich“. Umgekehrt: „Selig, denen das Himmelreich gehört, sie werden Verfolgungen
anders ertragen“.
3.
Und so weiter: Es lohnt sich also einmal, die Seligpreisungen
andersherum zu lesen, um der Gefahr einer „Wenn-dann“ Beziehung zu entgehen.
Denn der Mensch, der in der Seligkeit dessen lebt, was Gott ihn geschenkt hat
an Güte, an inneren Frieden, an Liebe und Barmherzigkeit, der wird auch fähig
sein, das Beschenkte an andere weiterzugeben.