Predigten am 7. Sonntag der Osterzeit B 25

                                                                                  


01.06.2025

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Das Johannes-Evangelium berichtete uns, wie Jesus um die Einheit seiner Jünger betet. Ganz offensichtlich war die Wahrung der Einheit im Christentum schon sehr früh ein Thema: „Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.“ Alle sollen eins sein. Das mit der Einheit ist so eine Sache: Ich erinnere mich an eine evangelische Pfarrerin, die einmal in einer Sitzung klar gesagt hat: Sie will die Einheit nicht. Es wurde dann schnell klar, was sie unter Einheit verstand: Nämlich den Zentralismus der katholischen Kirche, wie wir ihn unter den Päpsten Johannes Paul II. und Papst Benedikt erlebt haben. Die Einheit steht unter einer enormen Spannung: Wieviel Vielfalt darf es in der Einheit geben, ohne dass es Beliebigkeit gibt, und wieviel Einheit muss es geben, ohne dass diese als zentralistisch angeordnet verstanden wird. Die Einheit also zwischen Zentralismus und Beliebigkeit. Nehmen wir als Beispiel einen Bereich, der für die Einheit von ganz großer Bedeutung ist: Die Wahrheit. Die Wahrheit soll uns einen. Wie aber kommt Wahrheitserkenntnis zustande?

2. Dazu eine schöne Geschichte: In der Geschichte sind mehrere blinde Männer anwesend, die noch nie zuvor einen Elefanten gesehen haben. Sie werden gebeten, einen Elefanten zu betasten, um sich ein Bild von dem Tier zu machen. Jeder Mann berührt einen anderen Teil des Elefanten, wie z.B. das Bein, den Rüssel, den Schwanz oder den Stoßzahn. Nachdem sie den Elefanten betastet haben, versuchen sie, zu beschreiben, was sie erlebt haben. Da jeder nur einen kleinen Teil des Elefanten berührt hat, sind ihre Beschreibungen unterschiedlich und widersprüchlich. Einer der Männer, der den Rüssel berührt hat, beschreibt den Elefanten als eine schlanke, dicke Schlange. Ein anderer, der das Bein betastet hat, glaubt, der Elefant sei wie eine Säule. Wieder ein anderer, der den Schwanz berührt hat, sagt, der Elefant sei wie ein Seil. Die Männer streiten sich darüber, wer Recht hat, und keiner von ihnen will seine eigene, begrenzte Wahrnehmung aufgeben. Die Geschichte endet damit, dass keiner der Männer die Wahrheit über den Elefanten gefunden hat, da sie alle nur einen kleinen Teil der Realität wahrnehmen.

3. Die Männer hätten, um die Wahrheit herauszufinden über den Elefanten, aufeinander hören sollen. Und sie hätten ihre eigene Begrenztheit anerkennen müssen, dass sie allein nicht imstande sind, die Wahrheit herauszufinden. Die Wahrheit ist komplexer als das jeder einzelne von uns Wahrheit finden könnte. Wir nähern uns immer nur an. Man muss offen sein für andere Perspektiven und nicht behaupten, ich allein bin im Vollbesitz der ganzen Wahrheit.

4. Das heißt: Wahrheitserkenntnis ereignet sich dialogisch, im Gespräch und im aufeinander Hören. Die Kirche hat sich immer schon als Erzählgemeinschaft verstanden. Die Heilige Schrift ist ein Erzählbuch, in dem verschiedene Ansichten wiedergegeben werden. Gerade die Osterberichte sind nur schwer zu harmonisieren. Wahrheit ist auf Gemeinschaft angewiesen. Das meint der theologische Satz: „Die Kirche im Ganzen kann nicht irren“. Kirche als weltweite Gemeinschaft im Gespräch und Austausch, wird herausfinden, was ein „Elefant“ ist, um mal im Bild der Geschichte zu bleiben. Selbst das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes verweist ihn auf die Gemeinschaft der Kirche, wenn es heißt: „Der Papst besitzt die Unfehlbarkeit, die der ganzen Kirche zu eigen ist.“ Er darf also gar nichts Unfehlbares sagen, wenn es nicht von der Kirche insgesamt getragen ist. Das Gleiche meint auch der Synodale Weg. Das Wort stammt aus dem Griechischen und heißt: Miteinander auf dem Weg sein, nicht gegeneinander. Im gemeinsamen Gehen und Austausch entsteht Wahrheitserkenntnis. Kirche ist synodal, also um der Wahrheit willen gemeinsam auf dem Weg.

5. Das heißt nur für unser Problem: Einheit zwischen Zentralisierung und Beliebigkeit: Die Wahrheitsfindung setzt sozusagen die Vielfalt voraus, sowie die blinden Bettler auf vielfältige und verschiedene Weise herausgefunden haben wollen, was ein Elefant ist. Aber im Austausch der Erfahrungen kommt man der Wahrheit näher. Einheit ereignet sich also in der Anerkennung, dass der andere für mich wichtig ist, um tiefer zu erkennen. Ein zentralistisches Denken steht der Einheit selbst im Weg, weil sie den anderen gar nicht braucht. Und ein Denken in Beliebigkeit steht ebenfalls der Einheit im Weg, weil sie den Kern dessen, worum es geht, nicht ernst nimmt. Deswegen heißt es bei Johannes: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.“ Wie Vater und Sohn verschieden sind und in ihrer Verschiedenheit sich bereichern im Glück des Heiligen Geistes, so sind Vater und Sohn genau deshalb eins, weil sie sich darin einig sind, in einer Liebe zu sein und in einer Herrlichkeit.“ Vielleicht käme wir in der Einheit voran, ahnten wir, wie sehr wir schon eins sind in Gottes Herrlichkeit, die uns frei macht zu offenen Dialog und Austausch. „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind.“

Franz Langstein