Predigt am 27. Sonntag im Jahreskreis C 2025

Lk 17,5-10

05.10.2025

Liebe Schwestern und Brüder!

1. „Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, dann könntet ihr Berge versetzen“, so haben wir eben gehört. Das ist ein heftiger Vorwurf, den Jesus hier seinen Jüngern macht. Sie baten ihn nämlich: „Stärke unseren Glauben“. Und Jesus antwortet ihnen, dass ihr Glaube noch viel zu klein ist, nicht einmal so groß wie ein Senfkorn.

2. Sie ahnen, was jetzt passiert: Nun kann man - und das hat man auch – jeden, der ein Glaubensproblem hat oder der in einer Krise steckt, gesagt: „Du bist selbst daran schuld. Du musst noch mehr glauben. Du musst noch mehr beten.“

3. „Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn“, so hörten wir. Haben wir das wirklich gehört? Oder ist Ihnen aufgefallen, dass wir was ganz anderes gehört haben? In der Tat haben wir jahrelang das so gehört: „Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn“. Wir haben den Satz als Vorwurf gehört. Aber die neue und richtigere Übersetzung, die wir tatsächlich eben gehört haben, lautet: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen“. Also: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn.“ Da ist jetzt nicht mehr die Rede davon, dass euer Glaube nicht einmal so groß ist wie ein Senfkorn, sondern so klein sein soll wie ein Senfkorn. Die Jünger bitten Jesus, er möge ihren Glauben stärken, und Jesus antwortet, dass er gar keinen starken Glauben wünscht, sondern einen kleinen Glauben, höchstens so groß wie ein Senfkorn. Das überrascht! Wie oft arbeiten religiöse Menschen daran, ihren Glauben groß und stark zu machen. Was ist davon zu halten?

4. Nun – schauen wir in die Evangelien. Da fällt tatsächlich auf, dass Jesus bei denen ist, die einen kleinen Glauben haben. Denken wir an die Geschichte vom Zöllner, der beim Beten im Tempel ganz hinten steht und Gott nichts vorzuweisen hat. Während vorne ein Pharisäer steht und Gott alles aufzählt, was er geleistet hat. Und Jesus sagt am Ende: Der Zöllner geht gerechtfertigt nach Hause, nicht der Pharisäer, der reich an Glauben ist. Oder die Geschichte vom verlorenen Sohn: Er hatte alles verloren und war verloren. Und er fand überreich Gnade. Der ältere Bruder, der reich war an guter Leistung („so lange diene ich dir schon, aber kaum ist dein Sohn hier…), kommt damit nicht klar. Jesus nennt die selig, die geistlich arm sind: „Selig die Armen im Geiste“. Das ist doch ein auffallender Befund.

5. Und ein befreiender Befund: Wir müssen unseren Glauben nicht noch größer machen. Das kann bedeuten: Haltet die Glaubenszweifel aus. Glaubt nicht so schnell der inneren Stimme oder den Stimmen von außen, die da sagen: „Du bist selbst schuld, wenn du jetzt in einer Krise bist. Dein Glaube ist einfach noch zu klein, würdest du richtig glauben, dann wäre das und das nicht passiert. Du kannst keine Berge versetzen, weil dein Glaube noch zu klein ist.“ Das Gegenteil ist der Fall. Wäre dein Glaube klein wie ein Senfkorn, dann wirst du Berge versetzen. Ich möchte Ihnen das Beispiel meines verstorbenen Bruders anführen: Er hatte einen starken und lebendigen Glauben. Vielleiht von uns Dreien den intensivsten. Dann bekam er diese schwere Krankheit ALS. Er ging durch eine tiefe Glaubenskrise: „Warum hilft Gott mir nicht, wenn er mich doch liebt“. Sein Glaube war so groß, dass er davon ausgehen konnte, dass Gott ihn doch nicht wegen seines Glaubens enttäuschen könnte. Doch: Gott hat ihn enttäuscht. Sein Glaube wurde immer kleiner, befreit von falschen Erwartungen, am Ende blieb nur noch ein kleines Senfkorn übrig. Er drückte da so aus: „Ich habe mich ergeben“. Mehr nicht. Eine Gottergebenheit und damit verbunden, dass er alles losgelassen hat. Er hat alles losgelassen, was sein Glauben groß gemacht hat. Jetzt blieb ihm nur noch das Sich-Anheimgeben an ein größeres Geheimnis, das Liebe ist. Und es kehrte bei ihm ein tiefer Friede ein, der wirklich zu vergleichen war mit einem Versetzen von Bergen.

6. Es geht beim „Glauben wie ein Senfkorn“ auch nicht um einen billigen Glauben oder um das, was heute so modern ist, einen niederschwelligen Glauben, es geht genau um das Gegenteil: Der kleine Glaube, so groß wie ein Senfkorn, ist der Glaube, der befreit ist von aller Oberflächlichkeit, allen Gottesbildern, allen falschen Erwartungshaltungen, allen Zwängen, Gott etwas bieten zu müssen, von aller Sicherheit, die man sich oft erkaufen möchte in einem Zurück zu alten Zeiten oder gar das Stürzen in einen Fundamentalismus, der nichts anderes ist wie eine Glaubenskrankheit. Der kleine Glaube ist ein befreiter Glaube, der sich nicht mehr vollgehängt ist mit Geboten und Pflichten, die man sich angeeignet hat, um vor Gott zu punkten. Der kleine Glaube führt weg von religiöser Unduldsamkeit hin zu einem Loslassen können. Der kleine Glaube befreit vor religiösem Hochmut und Stolz. Der kleine Glaube befreit davor, Gott haben zu wollen und über Gott Bescheid wissen zu wollen. Er befreit davor, vor Gott etwas bedeuten zu müssen. Der kleine Glaube ist durch Krisen hindurchgegangen und weiß um die eigene Unzulänglichkeit. Der kleine Glaube rechnet nicht, er vertraut. Gerade deshalb kann er Berge versetzen, das heißt: Er schenkt neue Einsichten, die das Leben in ein neues Licht tauchen. Es ist wie mit dem Sterben eines Sterns. Wenn unsere Sonne mal stirbt, streift sie ihre äußere Hülle ab. Übrig bleibt der innerste Glutkern der Sonne. Als kleiner Punkt wird dieser Glutkern noch Jahrmillionen im heißen Licht glühen. So wird auch der Mensch viel Oberflächliches, das seinen Glauben groß macht, abstreifen. Übrig bleibt das Senfkorn, der Glutkern der Gottesliebe und des Gottvertrauens.

Franz Langstein