Mt 1,18-24
21.12.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Wir haben am letzten Sonntag, dem 3. Advent, einen Aspekt aus einer Lesung betrachtet, nämlich, dass man Geduld haben müsse, denn das zu Erwartende stehe noch aus. Das ist ein wichtiger und wesentlicher Aspekt unseres Lebens. Denn wenn das zu Erwartende noch aussteht, dann heißt das, dass wir im Vorläufigen leben. Und das wiederum heißt, dass wir das Vorläufige auch solches akzeptieren müssen. Die Welt und unser Leben tragen die Spuren des Vorläufigen. Wenn der christliche Glaube sagt, dass die Welt aus dem Nichts erschaffen wurde, dann trägt sich auch die Spuren ihrer Herkunft, die Nichtigkeit, die Spuren von Vernichtung und Vergänglichkeit und Zufälligkeit. In einer nicht perfekten Welt ist auch nichts perfekt. Deshalb braucht es Geduld, das heißt die Annahme unseres Lebens gerade auch in seiner Zufälligkeit und Hinfälligkeit.
2. Heute möchte ich mit Ihnen noch einen weiteren wesentlichen Aspekt der Adventszeit bedenken. Er ergibt sich ganz von selbst aus dem eben Gesagten: Wenn wir zur Geduld ermahnt wurden, dann heißt das, dass das zu Erwartende natürlich das Künftige ist und somit das Verheißene. Und das zu Erwartende als das Künftige ist als Verheißung schon gegenwärtig. Es ist ungefähr so, wie wir es als Kinder zu Haus erlebt haben: Uns war verheißen, dass an Weihnachten die Modelleisenbahn aufgebaut wird. Diese Aussicht, also diese Verheißung, löste bei uns gerade in der Adventszeit eine große Vorfreude aus. Somit war die Modelleisenbahn als Verheißung immer schon da, verlässlich da. Und außerdem stand die Eisenbahn im Keller, wohl verpackt, aber sie war schon da, nur unsichtbar, im Keller verpackt. Das ist ein wunderbares Bild für das Verheißene.
3. Im religiösen Sinn haben wir für die Verlässlichkeit der Verheißung einen Namen. Wir haben ihn eben gehört: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.“ Das ist das Verheißene: Gott selbst ist in Christus mit uns. Was heißt das aber.
4. In einem ersten Verständnis kann man freilich sagen – und das tun auch viele und will ich gar nicht abwerten, im Gegenteil, es ist schön, wenn man so denkt – also in einem ersten Verständnis kann man sagen: Wir erfahren die Gegenwart Gottes durch die Hilfe und Güte von Mitmenschen, auch ein Naturerlebnis kann ein solche Erfahrung Gottes sein. Wir stellen uns vor, dass er uns mit seiner Gegenwart durchs Leben geleitet, auch im Dunkel Kraft und Halt gibt. Das alles ist sehr schön, erreicht aber nicht die Tiefe, die wir aus dem Christlichen heraus schöpfen müssen, um den Namen Immanuel, Gott ist mit uns, gerecht zu werden. Denn all das, was ich eben sagte, dass Gott seine Gegenwart zeigen kann mittels von Natur, Mitmenschen, Vorstellungskraft ist eben nur eine vermittelte Gegenwart, keine unmittelbare. Die Theologie kennt hier ein wunderbares Wort: Sie spricht von der gratia increata, von der unerschaffenen Gnade. Diese Gnade Gottes wird nicht vermittelt durch Erschaffenes, sondern ist unmittelbar. Bei dieser Gnade steht nichts zwischen Gott und Mensch. Der Mensch steht unmittelbar in der Gnade Gottes. Nichts Erschaffenes vermittelt die Gnade, sondern allein Gott, der Unerschaffene. Kurz gesagt: Die unerschaffene Gnade ist die Selbstmitteilung Gottes in Christus. Die Dinge, die uns Gott vermitteln können, wie ein schöner Sonnenuntergang zum Beispiel, reichen nicht aus, um Gott zu fassen. Das Maß der Selbstmitteilung Gottes ist größer als je etwas ihn erfassen könnte. Wir müssen also maßlos denken. Gott selbst ist das Maß. In Christus ist uns Gott so entgegengekommen, so gegenwärtig, dass er durch Christus uns ganz und gar angenommen hat und hineingenommen hat in seine göttliche Fülle. Das Johannes-Evangelium spricht davon, dass Gott in uns Wohnung nehmen wird. Das ist das Verheißene. Und es ist als Verheißung schon da, wie die Modelleisenbahn im Keller, aber nur noch nicht aufgebaut, also noch nicht sichtbar. Aber eines Tages, so sagt die Schrift, werden wir von Angesicht zu Angesicht schauen.
5. So ist das Verheißene schon da, auch jetzt, wenn wir Eucharistie feiern. Noch verborgen unter Zeichen, aber wir sind schon gewürdigt zur Gottesgemeinschaft.
Franz Langstein