Predigt am Fest Kreuzerhöhung 2025

Num 21,4-9; Joh 3,13-17

14.09.2025

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Blenden wir noch einmal zurück zur ersten Lesung: Es wurde uns berichtet, dass das Volk Israel auf der Wanderung durch die Wüste gegen Gott und Mose aufbegehrten. „Warum habt ihr uns aus Ägypten herausgeführt? Etwa, damit wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser. Dieser elenden Nahrung sind wir überdrüssig. Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk“. Es ist jetzt mal egal, wie wir die Geschichte historisch einordnen, also ob tatsächlich in der Geschichte eine Erinnerung an eine Schlangenplage lebendig bleibt und ob die Israeliten diese deuteten als Strafe Gottes für das Aufbegehren oder ob es sich um eine Lehrerzählung handelt ohne historischen Hintergrund: Diese Geschichte ist eine wunderbare Vorlage um das Ganze mal psychologisch zu deuten. Man könnte sagen: Das Volk begehrt gegen Gott und Mose auf, weil es kein Vertrauen mehr hatte in die Führung des Moses. Misstrauen machte sich breit.

2. Was heißt das? Eine jede Gemeinschaft oder Gruppe, oder einfach eine Beziehung unter Menschen lebt von einem Vorschuss an Vertrauen, den jeder einzelne dem anderen gegenüber gewähren muss. Ich kann nicht ständig die Frage klären müssen, ob denn der andere es auch gut mit uns und mit mir meint. Das muss vielmehr vertrauensvoll vorausgesetzt werden. Nur so können Gemeinschaften leben. Misstrauen ist also Gift für jede Beziehung und Gemeinschaft. Beispiele ließen sich zuhauf finden, denken Sie nur an so manche totalitären Regime. Von so einem Gift berichtet uns heute die erste Lesung. „Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Etwa damit wir in der Wüste sterben?“ Eine schlimme Form des Misstrauens breitete sich aus: Gott und Mose meinen es nicht gut mit uns. Sie haben uns herausgeführt, damit wir in der Wüste sterben. Ein solches Misstrauen, ja eine solche unerhörte Unterstellung ist förmlich Gift für jede Gemeinschaft, erst recht für das Volk Gottes, für Israel. „Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen, und viele Israeliten starben.“ Die Giftschlange wird zum Symbol des alles vergiftenden Misstrauens. Hat sich aber einmal das Misstrauen eingeschlichen, kann es nicht einfach wieder in Vertrauen verwandelt werden. Was soll man tun?

3. Der Herr gibt Mose den Auftrag: „Mach dir eine Schlange, und häng sie an einer Fahnenstange auf! Jeder der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht.“ Wenn nun jemand von einer Schlage gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.“ Auf der bildhaften Ebene mutet das richtig modern an, psychologisch absolut richtig. Man muss die Schlange anblicken. Man muss das eigene Misstrauen wahrnehmen. Man darf nicht die Schuld beim anderen suchen. Lauft nicht weg von den dunklen Seiten in euch. Steht dazu, nur so ist Heilung möglich. Nur wo der Mensch es lernt, Schuld anzuschauen, das Gift des Misstrauens wahrzunehmen, kann gegengesteuert werden. Man muss die Schlange anschauen, die selbst in einem ist. Jede Heilung beginnt damit, dass man seine eigenen Wunden wahrnimmt, dass man die Diagnose an sich selbst zulässt und anschaut. Schaut die Schlange an, schaut euer Misstrauen an, schaut das Gift an, das in euch ist, schaut eure Abgründe an und nehmt sie an! Das ist die Voraussetzung für Heilung: „Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben“.

4. Und nun heißt es im heutigen Evangelium: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden“. Und da sind wir jetzt mitten drin im Geheimnis des heutigen Festes „Kreuzerhöhung“, mitten im Kreuzesgeheimnis. Wir schauen nicht mehr auf die Schlange, wir schauen auf den am Kreuz erhöhten Jesus. Aber es ist der gleiche Blick: Es ist das Anschauen unserer Schuld. Wenn wir auf den am Kreuz Hängenden schauen, erkennen wir uns wie in einem Spiegelbild. Was ist mit uns Menschen los, dass der Unschuldige, der Liebende, der Sohn Gottes so dermaßen gequält und gefoltert und schließlich brutal gekreuzigt wurde? Jedes unschuldige Leid ist ein Spiegelbild dafür, dass mit uns Menschen etwas nicht stimmt, ein Spiegelbild der Sünde. Und so ist auch der am Kreuz Erhöhte ein Spiegelbild der Sünde der Menschen. Aber indem wir auf das Kreuz schauen und auf Christus, den Geschundenen, schauen wir auf unsere eigene Schuld. Aber so ist Heilung möglich, nicht nur, indem wir auf das Kreuz schauen als Spiegel unserer Schuld, sondern auch, weil, - Gegensatz zur Schlange in der Wüste-, von diesem Kreuz Vergebung ausgeht. Das Bild des am Kreuz Erhöhten geht noch einmal entscheidend weiter als das Bild der Schlange in der Wüste. Der Mensch kann immer zu seiner noch so abgrundtiefen Schuld stehen, weil er im Blick auf das Kreuz Christi auch Vergebung erfährt.

5. Wir kommen hier zu einem wichtigen Punkt des Gedenkens und Erinnerns. Wenn wir z.B. einer schlimmen Zeit gedenken, - nehmen wir als Beispiel einmal den Volkstrauertag, an dem wir der Opfer des Naziterrors gedenken -, dann darf das nicht einfach ein historisches Gedenken sein: „Ach so war das damals“, sondern es muss ein anamnetisches, sich vergegenwärtigendes Erinnern sein, dass mir deutlich macht: Auch in mir steckt dieses Gewaltpotential. Aber indem ich genau so auf die „Schlange in mir“ blicke. Oder nehmen wir das Misstrauen unter den Völkern. Dies hat bis zur Atombombe geführt. Wir trauen dem anderen nicht, müssen uns schützen, aufrüsten. Es ist das Misstrauen, das wie eine Giftschlange große Gefahren bringt. Es geht um die Warnung des Evangeliums: „Seid wachsam“.



Franz Langstein