Fest des heiligen Evangelisten Johannes
27.12.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Innerhalb der Bibelwissenschaften gibt es die durchaus begründete Auffassung, dass Johannes der Evangelist nicht derselbe ist wie Johannes der Jünger Jesu. Ich möchte das hier nicht im Einzelnen ausführen. Das Vokabular des Johannesevangeliums, die Gedanken und Querverbindungen zum Geist der Zeit lassen uns das Johannesevangelium sehr spät datieren, etwa so um die erste Jahrhundertwende. Gehen wir einmal davon aus, dass dem so ist, und vieles spricht dafür, dass das so ist, dann finde ich unter diesem Gesichtspunkt das Johannesevangelium noch einmal interessanter für uns heute.
2. Denn das hieße nämlich, dass wir heute am Fest unsres Namenspatrons Johannes einen Mann feiern, der Jesus nicht begegnet ist und kein Augenzeuge der Taten Jesu war. Damit schreibt Johannes sein Evangelium genau für Menschen einer viel späteren Generation, die Jesus nur noch aus der Ferne kennen, vom Hörensagen. Und das prägt sein Evangelium. Johannes der Evangelist ist ein Zeuge des Glaubens, und als theologischer Denker will er ein geistlicher Lehrer dieser späten Generation sein. Und genau das macht ihn für uns heute interessant. Denn seine Botschaft ist genau diese: man muss Jesus nicht gesehen haben, um ihn wahrhaft zu erkennen. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, schreibt Johannes, das dürfte auf ihn, der Jesus nicht gesehen hat, zutreffen.
3. Aber genau dieses Nichtsehen eröffnet den Raum für eine tiefere Erkenntnis, die nicht stehen bleibt beim Äußeren. Er schreibt zum Beispiel nichts über die Geburt Christi, nichts über das letzte Abendmahl zum Beispiel. Es geht ihm also um eine tiefere Erkenntnis jenseits dieser Geschichten. So schreibt er zu Weihnachten lediglich: „Das Wort ist Fleisch geworden und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ Und statt des Abendmahls bringt uns Johannes das Beispiel der Fußwaschung. Hier wird deutlich: Johannes geht es um ein tieferes Erkennen.
4. Somit schreibt Johannes für Menschen, die tiefer fragen und seine Botschaft steht für eine Reife des Glaubens, der auch durch Zweifel hindurchgegangen ist und sich nicht auf äußere Sicherheiten mehr verlassen kann. Denn Glaube ist nicht nur Erinnerung, sondern tiefes Erkennen. So kommt das Wort „erkennen“ im Johannes-Evangelium 56x vor.
5. Und genau das macht für mich das Johannes-Evangelium so bedeutsam für heute. Wir sind Menschen, die wissenschaftlich denken, die historisch denken, für die Fakten wichtig sind. Mit diesem Denken haben wir so manche Anfragen an die biblische Botschaft. Vieles von dem, was da so steht, kann man nicht glauben im wörtlichen Sinn. Das macht es für manche schwierig. Was gilt dann überhaupt noch? Und da lehrt uns unser Kirchenpatron, dass diese Fragen oder Zweifel berechtigt sind, dass man aber tiefer blicken muss, nicht sehen, sondern erkennen muss. So kommt bei Johannes auch sehr oft das Wort „Licht“ vor, etwa 22x. „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“. „Ich bin das Licht der Welt“, usw. Das Licht der Erkenntnis ist das wahre Glaubenslicht, dass unser Leben erhellt. Denn in diesem Licht sehen wir unser Leben neu. Christus neu und immer tiefer zu erkennen, dass ist die Aufgabe und die Herausforderung, die Johannes seiner Gemeinde uns somit auch uns mitgibt.
6. Ich denke, dass wir einen großartigen Namenspatron der Kirche haben, einen wirklich geistlichen Lehrer unserer Zeit.
Franz Langstein
1. Sonntag nach Weihnachten A26
Mt 2,13-15.19-23 28.12.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Wir haben heute am Sonntag nach Weihnachten wieder eine dieser schönen Kindheitserzählungen. Diese Geschichten sind eine wunderbare Komposition, die wie eine Ouvertüre schon das anklingen lassen, was sich später im Evangelium entfaltet. Hier geht es also um die Flucht nach Ägypten. Josef, Maria fliehen mit dem Kind vor Herodes nach Ägypten. Ägypten ist für verfolgte Israeliten oft ein Land, in das sie fliehen. Im Alten Testament ist Ägypten auch schon Zufluchtsort vor politischer Bedrängnis. Im ägyptischen Alexandria existierte spätestens seit der Ptolemäerzeit (3. Jahrhundert vor Chr.) eine jüdische Gemeinde mit wachsendem Einfluss, die bald zu einem Zentrum hoher jüdischer Bildung wurde. Der Hohepriester Onias IV. flieht vor Antiochus Epiphanes nach Ägypten. Jerusalems angesehene Familien fliehen bei einer Belagerung der Stadt nach Ägypten. Auch Herodes selbst war mit seiner Familie vor den Parthern nach Ägypten geflohen. All das berichtet uns Josephus Flavius. Matthäus greift dieses Motiv auf. Anlass dafür bietet ihm der König Herodes, der nach dem Kind trachtet. Aber Matthäus hat dabei eine ganz andere Aussageabsicht. Es geht ihm vor allem darum, dass Jesus mit seiner Mutter und seinem Vater aus Ägypten wiederrum zurückgerufen werden. „Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“. Und das ist der zentrale und entscheidende Satz.
2. Matthäus greift hier also ein Zitat aus dem Buch des Propheten Hosea auf. Dort es heißt: „Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb und rief meinen Sohn aus Ägypten.“ Mit „Sohn“ ist Israel gemeint. Gott hat Israel, sein Kind, so liebgewonnen, dass er es auch Ägypten herausrief und somit einen Neuanfang setzte. Ein Neuanfang, für den das Volk befähigt werden sollte durch die Wanderung durch die Wüste. Und an diesen Anfang erinnert nun das Matthäus-Evangelium, indem es diese Schriftstelle zitiert: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“. Mit anderen Worten: Jesus ist der Neuanfang, den wiederum Gott selbst setzt. Mit Jesus beginnt etwas Neues, das Israel wieder sammeln soll unter die Liebe Gottes. Gott selbst setzt diesen Neuanfang. Und auch Jesus geht, bevor er öffentlich zu wirken beginnt, in die Wüste.
3. Und genau das ist das Thema dieser Ouvertüre. Das Leben Jesu, von dem Matthäus dann in seinem Evangelium berichten wird, ist die Entfaltung dieses Neuanfangs, den Gott mit Israel setzten wollte. Ganz besonders in der Bergpredigt. Hier erwähnt Matthäus eigens das alte Stämmegebiet Israels: „Scharen von Menschen aus Galiläa, der Dekapolis, aus Jerusalem und Judäa und aus dem Gebiet jenseits des Jordan folgten ihm.“ Das entspricht dem ursprünglichen Israel. Und als Jesus die vielen Menschen sah, sprach er zu ihnen. Und dann folgt die Bergpredigt. Eine progammatische Predigt, wie eine Neuanfang aussieht: „Selig, die Barmherzigen, selig, die keine Gewalt anwenden. Liebt eure Feinde. Seid barmherzig zu allen. Richtet niemand. Hab Gottvertrauen.“ Das ist der Neuanfang, den Matthäus gesetzt haben möchte. „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“.
4. Und damit wären bei der Frage, wie wenn ein Neuanfang aussähe. Aus was müsste uns Gott heute herausrufen? Aus Angst um uns selbst? Aus dem Egoismus, der nur sich selbst sieht? Aus einer geistigen Gefangenschaft, in die sich der Mensch begeben hat, weil er Gott nicht mehr erkennt und sein Leben ganz allein auf sich reduziert? Gott hat seinen Sohn aus Ägypten gerufen und damit einen Neuanfang gemacht. Das sollte nicht verpuffen. Gott hat uns so in Christus ein Beispiel gegeben, wie ein Neuanfang aussehen sollte.