29.05.2022

Predigt am 7. Ostersonntag C22

Joh, 17,20-26

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Das Johannes-Evangelium berichtete uns, wie Jesus vor seinem Tod für alle bittet, die an ihn glauben. Und er bittet vor allem, dass sie eins seien. „Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.“ Die Einheit liegt also dem Johannes-Evangelium nahe. Offensichtlich also war damals das Thema Einheit schon ein Problem. Die Christenheit drohte sich zu spalten. Nur etwa 70 Jahre nach dem Tod Jesu ist das Thema „Einheit der Kirche“ aktuell. Was war passiert?


2. Es ist passiert, was so oft passiert in religiösen Gemeinschaften: Man verwechselt Lehre und Leben, die wahre Lehre wird wichtiger als das Leben nach dem Beispiel Jesu. Wozu ist Jesus gekommen? Das heutige Evangelium drückt das wie folgt aus: „Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“ Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht. Der Name Gottes ist das innerste Wesen Gottes. Und das innerste Wesen Gottes ist eine nicht beschreibbare Herrlichkeit und Liebe. Dazu ist Christus gekommen, uns dieses Wesen Gottes bekannt zu machen. Jesus hat uns also mit Gott bekannt machen wollen, und er wollte somit aufzeigen, was das für uns Menschen heißt, wenn wir Gott als den Liebenden in unser Leben aufnehmen und wie wir dann vor Gott und füreinander und miteinander leben sollten. Mit anderen Worten: Jesus hat keine Lehre gebracht, sondern hat gezeigt, was es heißt, im Angesicht eines liebenden Gottes zu leben. Er wollte, dass wir anders leben. Alle seine Gleichnisse zeigen das auf. Es ging ihm um das Leben, nicht um eine wahre Lehre. Es ging ihm um die Liebe, nicht um den Buchstaben.


3. Und genau das ist die Gefahr von religiösen Bewegungen. Irgendwann geht es nicht mehr um das Leben, sondern um die wahre Lehre. Nicht, wie jemand lebt, ist so entscheidend, sondern was jemand glaubt. Nicht mehr: Lebt er ein Leben aus der Liebe, sondern stimmt er überein mit der wahren Lehre. Und so waren schon im ersten Jahrhundert die ersten großen Lehrstreitigkeiten ausgebrochen. Es ging um die Person Jesu. Wer war er eigentlich: Da waren auf der einen Seite die Ebioniten. Das Wort stammt aus dem Hebräischen und heißt die Armen. Sie sahen in Jesus nur einen Menschen, einen außergewöhnlichen Propheten, aber nichts Göttliches. Dagegen stand der Doketismus, aus dem Griechischen: „ δοκεῖν“ „scheinen“. Christus habe nur zum Schein einen Leib angenommen. Der wahre Gott kann unmöglich Mensch geworden sein, weil alles Materielle und Leibliche unrein ist. So habe Christus vor der Kreuzigung seinen Scheinleib verlassen. Was ist also passiert? Wir sehen: Es geht nicht um das, was Jesus gelehrt hat, nämlich wie wir im Angesicht ein uns liebenden Gottes leben sollten, sondern es geht um die wahre Lehre darüber, wer denn dieser Jesus eigentlich sei.


4. Und darüber kann man trefflich streiten und sich zerstreiten. Denn diese Lehren sind in Buchstaben gefasst, dogmatisiert, und nun hat man Gründe, andere zu verurteilen und auszuschließen: „Du glaubst nicht, was da steht. Du bist ein Häretiker“. Es wird nun nur noch etwas mehr als 250 Jahre dauern, bis die Kirche den ersten Menschen hinrichten lässt, weil er nicht das glaubt, was dogmatisch fixiert ist, unabhängig, wie er eigentlich gelebt hat. Das Christentum ist in der großen Gefahr, nur noch eine Lehre zu sein, aber nicht mehr eine Gemeinschaft, die anders lebt, die aus der Liebe lebt. Die Lehre wird überwichtig, das Leben verliert an Bedeutung. Das Kirchenrecht darf nicht verletzt werden, den Menschen kann man verletzen. Wie oft ist die Kirche dieser Versuchung und Verblendung erlegen. Nein, Jesus brachte keine Lehre im dogmatischen Sinn; vielmehr brachte eine Lehre, wie wir leben sollten.


5. Die Einheit, um die Jesus also im heutigen Evangelium bittet, ist nicht eine Einheit, die daherkommt, dass alle im Denken und Reden gleichgeschaltet sind, sondern die ihren Grund in Gott hat: „Sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ Die Einheit hat also ihren Grund in der Erfahrung, dass wir in Gott wohnen und Gott in uns wohnt. Dadurch entsteht ein tiefes Band der Einheit. Um es kurz zu fassen: Der Grund der Einheit ist innerlich, nicht von außen aufgedrängt. Kein Kirchenrecht führt uns Christen zur Einheit. Einheit kann nicht von außen verordnet sein, will sie echte Einheit sein. Wenn aber kein Kirchenrecht die Einheit bewirkt, dann kann auch kein Kirchenrecht die Einheit zerstören, weil sie innerlicher ist als es jemals Buchstaben sein können.


6. Konkret heißt das doch: Lassen wir diejenigen, die meinen, dass die Lehre wichtiger ist als das Leben, weiterhin darüber streiten, ob die Evangelischen das richtige Amtsverständnis haben und ob sie deshalb gültig das Abendmahl feiern können. Wir sollten uns verbunden fühlen und in einer Einheit mit den Menschen wissen, die die Botschaft der Liebe leben. Und wir sollten Sie nicht ausgrenzen, denn sie sind wahrhaft Jünger Jesu. Lassen wir doch diejenigen, die die wahre Lehre meinen zu haben und behaupten, die anderen seien deshalb, weil sie nicht in der Lehre übereinstimmen, nicht in Gemeinschaft mit uns, dies gern tun. Wir aber sollten uns eins wissen mit den Menschen, die sich heute einsetzen für größere Gerechtigkeit, für Frieden, für ein liebevolles Miteinander, die also im Geist Jesu handeln.


7. „Sie sollen eins sein, wie wir eins sind“. Und „damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“ Diese Einheit sind wir der Welt schuldig, „damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“.

Franz Langstein

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