20.02.2022
Lk 6,27-38
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Die Feindesliebe, von der wir eben im Evangelium gehört haben, gehört wohl zu den schwierigsten Aufgaben, die uns von der christlichen Botschaft her zugemutet werden. Die Schwierigkeit liegt schon in dem Wort „Feindesliebe“, also den Feind zu lieben. Stellen wir uns mal einen Menschen vor, von dem wir sagen könnten: „Der hat mir schweren Schaden zugefügt. Der hat was gegen mich und tut alles, um mir zu schaden.“ Empfinden wir für so einen Menschen so etwas wie Liebe? Oder fühlen wir nicht vielmehr in uns so etwas wie tiefe Abneigung, Zorn, Wut, vielleicht sogar Hass oder Rachegefühle? Alte Verletzungen kommen wieder hoch? Und das Schlimme ist: Wir können gar nichts dagegen unternehmen. Solche Gefühle stellen sich ja von selbst ein, wenn es da jemanden gibt, der mir einen schweren Schaden zugefügt hat. Aber vielleicht ist das ein erstes Missverständnis, wenn wir von „Feindesliebe“ sprechen, dass wir den Begriff „Liebe“ mit ganz viel Emotionalität verbinden: „Flugzeuge im Bauch, Glücksgefühle, ein wenig verrückt sein usw.“ Gegenüber einem Feind aber stellen sich diese Gefühle nicht ein. Tatsächlich sollten wir den Begriff „Liebe“ hier anders fassen.
2. Ein Hinweis gibt uns das griechische Wort für Liebe, das hier im Lukasevangelium steht: „Agapein“. Das meint eine Liebe, die weniger aus der Emotion kommt, als vielmehr aus dem Tun erwächst, und die zum Ziel hat, dass eine Gemeinschaft aufrechterhalten werden kann. Dazu gehören dann eben: Geschwisterliebe, Liebe in einer Freundschaft, Liebe innerhalb einer Familie oder Liebe zu einer Gemeinschaft. Ich bringe mich ein, weil mir diese Gemeinschaft viel bedeutet, weil ich diese Gemeinschaft eben liebe. (Hier spüren wir, wie einseitig unser deutsches Wort „Liebe“ ist). Die frühen Christen feierten das Agape-Mahl, ein gemeinsames Mahl, oft in der Verbindung mit der Eucharistie, das die Gemeinschaft vertiefte und durch das die Tischgemeinschaft mit Christus weiterlebte.
3. Feindesliebe hat also mit Verliebtheitsgefühlen nichts zu tun. Ich muss gegenüber einem Feind keine Schmetterlinge im Bauch haben, sondern Feindesliebe stellt die Frage, was muss ich tun, damit eine Feindschaft überwunden wird um einer größeren Gemeinschaft willen. Das galt und gilt besonders für die christliche Gemeinschaft und Gemeinde. Denn alle Feindschaft wäre der Tod einer jeden Gemeinde. Wir erleben das ja auch in unserm Land: Wie sich die Gesellschaft auseinanderdividiert und mit welchem Hass die einzelnen Gruppen manchmal aufeinander zugehen. Fahrradfahrer gegen Autofahrer, Impfgegner gegen Impfbefürworter, Autobahngegner gegen Autobahnbefürworter. Feindesliebe würde also bedeutet: Mir ist unsere Gemeinschaft so wichtig, dass ich, um der Gemeinschaft willen alles tue, dass wir uns nicht verfeinden.
4. Und deswegen folgen jetzt Vorschläge, was man tun könnte: „Tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln“. Auch ganz kreative Vorschläge werden genannt: „Dem, der dich auf die Wange schlägt, halte auch die andere hin“. Es geht nicht darum, sich ausnutzen zu lassen, sondern Wege zu finden, die die Feindschaft überwinden können. Wie sehr es um die Gemeinschaft geht, wird deutlich bei Folgendem deutlich: „Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür?“ Auch hier geht es nicht darum, sich ausnehmen zu lassen. Es kam ja immer wieder vor, dass Bauern oder Tagelöhner bei Missernten oder Arbeitslosigkeit schnell in die Armut fielen. Und gerade diese brauchten dann die Hilfe ihrer Glaubensgenossen. Denn auch hier: Eine Gesellschaft, die sich mehr und mehr aufsplittet in immer Reichere und immer Ärmere, wird auf Dauer keinen Bestand haben. Die Feindesliebe, von der Christus heute spricht, ist also immer zurückgebunden an eine Gemeinschaft. Eine Feindschaft muss überwunden werden, damit die Gemeinde überleben kann. Es geht also nicht um Gefühle, sondern um die Tat, um Initiativen, um kreatives Handeln.
5. Und dann stimmt es auch, was Jesus am Ende des heutigen Evangeliums sagt: „Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken.“ Modern gesprochen: Was ihr in die Gemeinschaft investiert, wird euch diese auch zurückgeben. Denn darum geht es bei der Feindesliebe: Um Heilung, um soziale und psychologische Mechanismen, die auf Versöhnung hinauslaufen.
Franz Langstein
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