29.11.2020

Predigt am 1. Adventssonntag 2020

Beginn einer Predigtreihe: 1. Vom Erwarten zum Warten als menschliche Grundhaltung

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Ich möchte heute mit einer kleinen Predigtreihe beginnen und den Advent aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Denn der Advent ist eine religiöse so reiche Zeit, dass es da viel zu sagen gibt. Heute geht es um die „Erwartung“.


2. Der Advent, so sagt man, ist die Zeit der Erwartung und damit eine sehr menschliche Zeit, da der Mensch doch immer in der Erwartung von etwas Künftigem lebt, von dem er sich etwas erhofft. Das gilt in besonderem Maße für das Christentum, denn es lebt vom Glauben an eine Zukunft als Reich Gottes, von der Wiederkunft Christi, wie wir es gerade im Evangelium gehört haben. Nichts weniger erwartet der Christ von einer Zukunft, in der sich Christus in seiner Herrlichkeit offenbart und zeigt und Gott unter uns wohnt. Wann immer freilich diese Zukunft sein wird. Aber diese Erwartung ist gefährdet, nicht nur deshalb, dass wir diese Zukunft für unwichtig abtun, weil noch weit weg oder dass wir diese Zukunft Gottes als unwichtig betrachten, denn es geht uns ja schon gut genug, sondern diese Erwartung ist von innen her gefährdet: Es wohnt nämlich einer solchen Erwartung immer schon die Enttäuschung inne. Was ist, wenn Gottes Reich nicht kommt?


3. Der Erwartung wohnt immer schon auch eine Ungeduld inne. Das Erwartete muss möglichst bald eintreffen. Ein Beispiel ist die marxistische Utopie, die der Sozialismus erwartet hat. Diese Utopie wurde genährt durch die Geschichtsphilosophie eines dialektisch voranschreitenden Materialismus. Jetzt – so erwartete man – kommt die Zeit der Gleichheit aller Menschen und das Ende eines Kapitalismus. Und weil das doch nicht so schnell kam, sollte diese Gleichheit gewaltsam hergestellt werden. Ein Überwachungssystem entstand. Das ist die Ungeduld, die dann zum Fundamentalismus werden kann. Enttäuschte Erwartung wird gefährlich. Das gilt für viele Lebensbereiche, auch für zwischenmenschliche Beziehungen.


4. Auch religiös gilt das. Es gibt genau diesen religiösen Fundamentalismus, der nicht abwarten kann, der herbeizwingen will. Deshalb müssen wir aufpassen, wenn wir von der Adventszeit als der Zeit der Erwartung sprechen; und wenn uns heute Texte vorgelegt werden, die die Erwartung ins Maßlose steigern: Die Sonne vergeht, Mond und Sterne vergehen, das Ende der Erde naht, aber nur als Zeichen, dass jetzt das Neue kommt: „Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen“. Wie oft wollten religiöse Fundamentalisten das schon herbeizwingen. Der Erwartung können gefährliche Ungeduld und Enttäuschung innewohnen.


5. Das gilt doch auch für unser Leben: Aber Gott hat doch versprochen…, aber er hat doch verheißen…, aber wir haben doch immer Gutes getan und warum passiert uns das jetzt?... Wo ist Gott, warum hilft er nicht?...Warum soll ich an Gott glauben, es bringt mir ja doch nichts..., wozu brauche ich Gott? Redensarten enttäuschter Erwartung. Mehr nicht. Sie haben mit der Gottesliebe oder echtem Gottesglauben wenig zu tun. Denn die Liebe ist dann vollendet, wenn sie nichts mehr erwartet und wenn sie sich von enttäuschten Erwartungen nicht so sehr beeindrucken lässt. Denn vielleicht waren ja die Erwartungen verkehrt, wenn der andere so sein darf, wie er ist und nicht, wie ich ihn gern hätte und wenn der Mensch aufhört, den anderen am Eigennutz messen zu wollen. Meister Eckhart sagte einmal: „Die meisten Menschen lieben Gott so, wie man eine Kuh liebt. Man liebt die Kuh der Milch wegen.“ Es ist die Vollendung der Liebe, wenn man nichts mehr erwartet, wenn man den anderen nicht benutzt, wenn man die Frage, wozu soll ich an Gott glauben, nicht beantworten kann. Denn die Liebe braucht eigentlich keine Begründung.


6. Und damit sind wir wieder zurück beim Advent. Zeit der Erwartung? Vielleicht sollten wir es anders sagen: Zeit des Wartens, des Abwartens. Wir stellen keine Erwartungen an Gott als Zeichen unsrer Ungeduld und Ausdruck einer Forderung an Gott. Wir gehen in die Haltung des vertrauensvollen Wartens. Vertrauensvolles Warten als Ausdruck der Hoffnung und der Liebe. Denn das sind wir: Wartende. Wie Menschen auf einem Bahnhof, die mal wieder nicht genau wissen, ob der Zug kommt oder nicht. Die aber vertrauen, nicht fordern. Was das für uns Menschen bedeutet, darum soll es das nächste Mal gehen.


7. Zum Schluss noch eine Geschichte: Auf einem großen Bahnhof waren viele Menschen unterwegs. Mitten darin auch eine Frau, die ihren Mann führte. An der Art und Weise, wie er sich an ihr festhielt, konnte man erkennen, dass er blind war. Die Frau führte ihn in eine ruhige Ecke und sagte dann: "Warte hier auf mich, ich komme gleich wieder und hole die Fahrkarten." Der Mann blieb zurück. Er stand einfach nur da und wartete. Dabei hatte er ein kleines Lächeln auf den Lippen. Seine Frau hatte ja zu ihm gesagt: "Ich bin gleich wieder da." Darauf vertraute der blinde Mann. Beeindruckend.

Franz Langstein

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