27.09.2020
Mt 21,28-32
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Das Gleichnis, das wir gerade hörten, beginnt mit dem Satz: „Ein Mann hatte zwei Söhne“. Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Wir kennen die viel prominentere Geschichte im Lukasevangelium. „Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von Ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht.“ Und dann folgt das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Und noch eine Parallele gibt es: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn richtet sich an die religiöse Oberklasse, Schriftgelehrte und Pharisäer, und das heutige Gleichnis richtet sich auch an die religiöse Oberklasse: „Hohenpriester und Ältesten des Volkes“. Und man muss diese Adressaten der Gleichnisse im Blick haben, um das Gleichnis tiefer zu verstehen, denn sonst könnte man das heutige Gleichnis auch auf plumpe Weise verstehen.
2. Ein Mann hat zwei Söhne. Er bittet beide, im Weinberg zu arbeiten. Der eine sagt „Ja“, geht aber doch nicht, der andere sagt „Nein“, geht aber dann doch hin. Und nun kommt die rhetorische Frage: Wer hat den Willen des Vaters erfüllt? Natürlich der Zweite. Und jetzt käme die doch etwas billige Quintessenz: Handeln ist besser als reden. Kommen aber jetzt die Adressaten, nämlich die religiöse Oberschicht, in den Blick, dann bekommt das Gleichnis eine provozierende Spitze. Denn ihnen wird das Gleichnis wie ein Spiegel vorgehalten: Ihr seid die, die zwar Ja sagen zu Gott, ihr betet viel, ihr glaubt viel, ihr haltet euch an die Gebote, aber ihr tut nicht das, was Gott willt. Und denen gegenüber werden nun Zöllner und Dirnen gestellt: „Eher gelangen Zöllner und Dirnen in das Reich Gottes als ihr“. Was für ein Satz! Und dann kommt die Begründung: „Zöllner und Dirnen haben Johannes dem Täufer geglaubt. Ihr habt es gesehen, und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.“ Zöllner und Dirnen waren offensichtlich erschüttert von der Predigt Johannes des Täufers. Die religiöse Oberschicht nicht. „Ihr habt nicht bereut“, sagt Jesus zu den Hohenpriestern und Ältesten.
3. Und da steht nun ein Wort, das ganz bedeutsam ist für das Verständnis des heutigen Evangeliums: Bereuen. Im Griechischen ist da oft die Rede von „μετανοέω“, was so viel wie „Umkehr“ bedeutet und oft ein Tun meint. Aber hier ist die Rede von „μεταμέλομαι“ und meint nicht so sehr eine Umkehr als Tat, sondern eine Empfindung dem eigenen Leben gegenüber: Es tut mir leid, ich bereue es. Es geht um ein Empfinden der eigenen Existenz gegenüber, von der man weiß, dass sie anders aussehen müsste, aber es will nicht einfach gelingen, anders zu werden: Zöllner und Dirnen sind da die Paradebeispiele. Denn diese Menschen haben aufgrund ihres Lebens sehr wohl ein Bewusstsein davon, wie gebrechlich, wie verkehrt, wie schuldbeladen ihr Leben ist. Aber sie kommen da irgendwie nicht raus. Denken wir in dem anderen Gleichnis an den verlorenen Sohn. Wie tief musste er erst sinken, bis er da herausfand. Es geht also um jene Menschen, die an dem, wie sie leben, zutiefst unzufrieden sind und die ihr Leben bereuen, aber kaum Möglichkeiten finden, herauszukommen.
4. Und hier tut es mal gut, einen Blick auf die erste Lesung zu werfen, auf diesen großartigen Christushymnus, den uns Paulus im Philipperbrief überliefert hat: „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“. Ahnen wir, was das heißt: Das ewige Liebeswort Gottes, das in Jesus Gestalt geworden ist, steigt herab in die menschliche Niedrigkeit, in diese menschlichen existentiellen Abgründe, in den Sumpf, in die Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz. Deshalb die Liebe Jesu zu den Randgruppen, zu denen, die an ihrer Existenz leiden.
5. Und diese an ihrer Existenz Leidenden, so sagt uns das Gleichnis, sind jene, die zwar „Nein“ sagen, aber dann doch den Willen Gottes tun. Warum auch sollte sie nicht „Nein“ zu Gott sagen? Man hat ihnen ja einen Gott beigebracht, der sie für unrein erklärt und der sie zu Sündern abstempelt. Warum sollten sie zu diesem ausgrenzenden und verurteilenden Gott „Ja“ sagen? Und doch tun sie den Willen des Vaters. Das mag daran liegen, dass solche an ihrer Existenz leidenden Menschen eher Verständnis für Arme und Leidende aufbringen als die religiöse Oberschicht.
6. Und ist nicht jede Tat der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe und jedes aufopferungsvolle Werk ein Akt des Glaubens? Denn wenn ich wirklich ein echtes Werk der Nächstenliebe vollbringe, d.h. ohne Eigennutz, schwingt da nicht unausgesprochen, vielleicht sogar ganz unbewusst, die Hoffnung mit, dass dieses Werk nicht umsonst sein mag, sondern sich lohnt. Und wenn sich diese Werke irdisch nicht lohnen, wenn einem die gute Tat niemand dankt, aber sie trotzdem getan wird, dann schwingt doch die Hoffnung mit: Sie wird nicht umsonst sein. Oder noch tiefer ausgedrückt: Immer schon ist Gott mit seiner Gnade am Werk als der, der zur Nächstenliebe ermutigt.
7. Wissen Sie, was ich da manchmal denke? Immer wieder heißt es: In Polen sind die Kirche voll, ein katholisches Land. In Deutschland sind die Kirchen dagegen vergleichsweise leer. Ein heidnisches Land. Die einen sagen „Ja“ zu Gott, die anderen sagen „Nein“, so könnte man meinen. Aber schwingt nicht in Deutschland ganz viel Glaube und Hoffnung mit, wenn hier Menschen sagen: Wir sollten Flüchtlinge aufnehmen? Wir dürfen uns ihnen gegenüber nicht verschließen? Ist nicht genau das das „Ja“-Wort zu Gott, selbst wenn es als ungläubiger Mensch gesagt ist?
Franz Langstein
Katholisches Pfarramt
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