21.06.2020
Mt 10,26-33
Liebe Schwestern und Brüder!
1. „Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird; und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird“, haben wir gerade gehört. Wie wirkt so ein Satz auf uns? Für viele Menschen kann er bedrohlich wirken, wenn Sie so erzogen worden sind: „Gott sieht alles, Gott weiß alles. Du kannst vor Gott nichts verbergen“. Mir ging es so, wenn bei uns zu Hause immer der Nikolaus kam. (Ich habe das wohl schon mal erzählt.) Das war mein Onkel. Das wusste wir Kinder natürlich nicht. Wir dachten, das war der echte Nikolaus. Und der Nikolaus hatte immer ein Buch dabei. Das schlug er auf. Wir fürchteten dieses „Aufschlagen“ des Buches. Denn jetzt wurde offenbar, was vorher verhüllt war. Da standen all die Untaten drin, die wir im letzten Jahr begangen haben. Nun wurde bekannt, was wir verborgen wähnten. Woher wusste der Nikolaus das alles? Der liebe Gott wusste das und hat das bestimmt dem Nikolaus weitergesagt. „Denn nichts ist verborgen, was nicht bekannt ist“. Bis heute ruft der Satz nicht unbedingt angenehme Assoziationen in mir wach. Und es mag manchen Menschen so ergehen, die mit einem Gottesbild groß geworden sind, das bedrohlich wirkt: Der liebe Gott sieht alles. Selbst gut gemeinte Sätze wie „Der liebe Gott schaut auf dich“ können Ängste auslösen.
2. „Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird; und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird“. Wir müssen uns dazu einen Zugang verschaffen. Ich möchte dazu einfach mal ein Beispiel nennen. Es gibt Menschen, die ihrer Zeit voraus waren. Diese Menschen hatten Erkenntnisse von Dingen, die bisher der Menschheit verborgen waren. Nehmen wir zum Beispiel die großen Naturwissenschaftler Johannes Kepler, Nikolaus Kopernikus oder Galilei Galileo. Durch ihre Berechnungen und Beobachtungen erkannten sie, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Das war der Menschheit bis dahin verborgen und wurde es der Menschheit enthüllt. Das war revolutionär. Galilei wurde dafür verfolgt und vor die Inquisition gestellt. Solche verborgenen Neuigkeiten waren gefährlich. Man durfte sie allenfalls im Dunkeln sagen, allenfalls ins Ohr flüstern. Und so gab und gibt es immer wieder Menschen, die ihrer Zeit voraus waren und ganz Neues, bis dahin Verborgenes entdeckten. Es ist besser, solche Neuigkeiten vielleicht erst einmal für sich zu behalten oder allenfalls im Dunkeln zu sagen oder ins Ohr zu flüstern: „Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag. Und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern.“
3. Kann man genau das nicht auch von Jesus sagen? Er war seiner Zeit voraus. Er verkündete einen Gott, der so unerhört neu war, dass er mit der Verkündigung Anstoß erregte. Und die ersten Christen waren ihrer Zeit voraus, weil sie diesen Gott verkündeten, der bis dahin verhüllt und verborgen war. Die Zeit war reif für das Neue, das bis dahin allenfalls im Dunkeln weitergesagt wurde. Die Zeit war reif für die Enthüllung eines ganz neues Gottesverständnisses. „Nicht ist verborgen, was nicht enthüllt war.“ Nur wehe denen, die das Neue bringen wollen oder müssen. Das Matthäus-Evangelium kennt diese Verfolgungssituation bereits. Deshalb will es trösten und Mut machen: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.“ „Fürchtet euch nicht, bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt“. Worte des Trostes und der Ermutigung, das Neue nicht zu verbergen. „Was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern.“
4. Was heißt das für uns heute? Ich wurde einmal gefragt, welchen Sinn überhaupt die Kirche noch habe. Viele Aufgaben der Kirche hat doch der Staat übernommen, wie Bildung, soziale Einrichtungen, Pflege von alten und kranken Menschen usw. Ich habe ihm geantwortet: Die primäre Aufgabe der Kirche ist es, immer wieder Gott aus der Verborgenheit ins Bewusstsein der Menschen zu heben. Die Kirche hat die Aufgabe, die Gottesfrage nicht vergessen zu lassen. Sie hat die Aufgabe, dass der verborgene Gott immer neu enthüllt werden muss für die Menschen. Denn es ist ein Gott des Lebens und der Liebe. Er ist kein Wächtergott, der dem Nikolaus alles verrät. Er ist Gott des Lebens und der Liebe, in dem wir uns geborgen wissen dürfen.
Franz Langstein
Katholisches Pfarramt
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