Predigten am 2. Sonntag im Jahreskreis A20
Liebe Schwestern und Brüder!
- Ich habe es ja schon des Öfteren mal erwähnt, dass sich das Johannes-Evangelium grundlegend von den anderen drei Evangelien unterscheidet. Das Johannes-Evangelium ist – möchte ich mal sagen – immer schon interpretierend und deutend unterwegs, die anderen Evangelien erzählen einfach. Das Johannes-Evangelium scheint aber diese Erzählungen kennen. Es greift diese Erzählungen auf und deutet sie. Das macht für mich das Johannes-Evangelium so wertvoll. Es ist Theologie am Ende des 1. Jahrhunderts.
- So auch das heutige Evangelium: Es greift die schlichte Erzählung von der Taufe Jesu im Jordan auf. Die anderen Evangelien erzählen schön, dass Jesus an den Jordan kommt, sich taufen lässt, aus dem Wasser steigt und wie sich der Himmel öffnet, der Geist herabkommt usw. Das Johannes-Evangelium nun greift diese Erzählung auf und deutet sie. Gleich zu beginnt heißt es: „In jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Mit dieser Bezeichnung „Lamm Gottes“, die nur hier im Johannes-Evangelium vorkommt, deutet das Evangelium das Geschehen der Taufe Jesu am Jordan. Und diese Deutung ist dringend notwendig. Warum?
- Weil tatsächlich die Taufe Jesu einer Deutung bedarf. Und zwar einer theologischen Deutung. Warum denn sollte sich Jesus taufen lassen? Das Matthäus-Evangelium berichtet uns, dass Johannes der Täufer sich weigerte, Jesus zu taufen: „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“, wendet der Täufer ein. Das können wir nur allzu gut verstehen. Wieso hat Jesus eine Taufe nötig? Und vor allem, wenn man bedenkt, dass die Taufe des Johannes eine Taufe war zur Vergebung der Sünden und zur Umkehr. Johannes der Täufer rief ja die Menschen auf, sich taufen zu lassen als Zeichen der Umkehr, um sich auf den kommenden Messias vorzubereiten. Warum also sollte der Messias eine Taufe der Sündenvergebung auf sich nehmen, um sich auf das Kommen seiner selbst vorzubereiten? Wir spüren: Hier ist Klärungsbedarf. Gut, dass das Johannes-Evangelium das klärt, theologisch klärt.
- An späterer Stelle berichtet uns das Johannes-Evangelium, dass Jesus selbst von einer Taufe spricht: „Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist.“ Jesus meint damit seinen Kreuzestod. Der Kreuzestod als Taufe. Wie bei der Taufe Jesus in den Jordan eintaucht, so taucht Jesus im Kreuzestod ein in die letzte Konsequenz dessen, was es heißt: Mensch geworden zu sein. Es gehören zu unsrem Menschsein eben auch Tod, Leid, Qual, Gewalt, Hass dazu. Gott wollte durch Jesus in unser ganzes Menschsein eintauchen. Jesus taucht gerade in das hinein, von dem wir glauben, dass es mit Gott nichts zu tun hat, dass wir dadurch ganz von Gott getrennt wären. Aber selbst diese letzte Trennung von Gott, die Sünde, musste beseitigt werden. Gott taucht so, wie man bei einer Taufe ins Wasser taucht, ganz ins Menschsein ein, bis in die Tiefen des menschlichen Abgrundes, damit nichts mehr von Gott getrennt ist. Das ist die Taufe, von der Jesus spricht, mit der er getauft werden muss, also hinabtauchen muss ins menschliche Elend.
- Und deshalb kommt Jesus an den Jordan, um sich taufen zu lassen; nicht, um sich von eigenen Sünden reinzuwaschen, sondern um die Sünde der Welt hinweg zu nehmen. Jesus nimmt in der Taufe am Jordan den Kreuzestod symbolisch vorweg. Der Kreuzestod beseitigt die Trennung des Menschen von Gott, die die Sünde ja bedeutet. „Sünde“ und „Absondern“ haben den gleichen Wortstamm. Und Jesus überwindet die Trennung, indem er selbst hinabsteigt in die Tiefen des Jordan, sprich: In die Abgründe des Menschen.
- Und genauso deutet das Johannes-Evangelium die Taufe am Jordan, wenn es berichtet, dass Johannes der Täufer auf Jesus zeigt mit dem Hinweis: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Für die damaligen Ohren war die Rede vom „Lamm Gottes“ natürlich sofort verständlich. Ein Bock war das Tier, dem man die Sünden auflud, es in die Wüste trieb, damit es die Sünde hinwegnimmt, daher das bis heute gebräuchliche Wort vom „Sündenbock“. Das Lamm was das Tier, das rituell geopfert wurde als Sündopfer. Aber was gemeint ist, ist klar: Jesus nimmt die Sünde auf sich wie das Lamm, er unterzieht sich der Taufe der Sündenvergebung, und hebt somit die Trennung zwischen Gott und Mensch auf. So deutet das Johannes-Evangelium die Taufe Jesu. Und diese Deutung wird nochmals dadurch unterstrichen, dass Jesus genau zu der Zeit am Kreuz stirb, als man im Tempel die Opferlämmer schlachtet. Eine tiefe Deutung eines einfachen Geschehens. Wie sehr wir Menschen doch mit Gott verbunden sind! Der Satz, wir seien durch die Sünde von Gott getrennt, stimmt so nicht mehr. Gott und Mensch sind eins, auch in den Abgründen der menschlichen Existenz, in den Abgründen des Jordans. Jesus ist dort hineingetaucht.