13.09.2020
Mt 18,21-35
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Wir wissen, dass gewisse Charaktereigenschaften unsers Lebens und Mentalitäten unseres Lebens durch bestimmte Lebenserfahrungen geprägt wurden. Es gibt gute Erfahrungen, die uns positiv geprägt haben mögen, und es gibt schlimme Erfahrungen, die manche so geprägt haben, dass sie ihr ganzes Leben daran zu knabbern haben.
2. Zu den sicherlich positiv prägenden Erfahrungen gehört die Erfahrung der Vergebung, wenn sie denn angenommen wird. Nicht jeder Mensch kann Vergebung annehmen. Schon für Kinder ist es sehr wertvoll, wenn sie erfahren dürfen: Es ist alles wieder gut. Aber auch für Erwachsene kann Vergebung eine sehr wertvolle Erfahrung sein. Einiges soll hier benannt werden:
Auf so verschiedene Weise kann Vergebung positiv prägend sein für einen Menschen: Vergebung eröffnet Zukunft, Vergebung bewirkt Verwandlung, Vergebung ermöglicht die Erfahrung des göttlichen Erbarmens.
3. Und schon sind wir im heutigen Evangelium: Da kommt jemand zum König und bittet ihn um den Erlass seiner Schulden in Höhe von 10.000 Talente. Damit sie eine Vorstellung der Schuldenlast haben: Die jährliche Steuersumme von ganz Galiläa und Judäa betrug dagegen vergleichsweise „nur“ 200 Talente, das Jahreseinkommen des Herodes rund 900 Talente. Ein Talent entsprach je nach Zeit und Gegend 6.000 bis 10.000 Denaren, wobei 1 Denar einen Tageslohn darstellt. Diese unvorstellbare Summe wird ihm erlassen. Es wird ihm Zukunft ermöglicht. Er müsste doch von dieser Erfahrung zutiefst geprägt sein. Und das ist das Unfassbare, ja das Surreale, ist, dass ihn diese Erfahrung nicht geprägt hat. Da kommt ein Mitdiener, der ihm 100 Denare schuldet, und diesen packt und würgt er und lässt ihn ins Gefängnis werfen. Das Erstaunliche und Verwerfliche zugleich ist nicht, dass er seinem Mitdiener nicht vergibt, sondern dass er ihm nicht vergibt, nachdem er selbst so viel Vergebung erfahren hat. Das Verwerfliche ist, dass ihm die vorher erfahrene Vergebung kein bisschen verwandelt hat. Wie ist so etwas möglich?
4. Ja, es ist möglich. Zwei Gründe mögen benannt sein. Einmal: er hat kein echtes Schuldbewusstsein. „Ich bin ja nicht daran schuld, wenn ich so viel Schulden beim König habe. Es ist eben passiert. Kann auch nichts dafür. Der Erlass der Schulden ist also nur logisch.“ Und ein Zweites: Es gibt bei gerade unter Christen die Gefahr zu glauben: Ich habe ein Recht auf Vergebung. Ich tue Buße, ich gehe Beichten, ich bekenne regelmäßig meine Schuld „mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“, also muss mir Gott vergeben. Es ist bei so einer oft unter Fundamentalisten anzutreffenden Haltung nicht verwunderlich, dass ein Fundamentalist weiterhin hartherzig bleibt. Denn ihm fehlt eine wesentliche Erfahrung: Vergebung kann man nicht einfordern, Vergebung kann man nicht verdienen, sondern Vergebung ist Geschenk, ist Gnade. Erst als solches bewirkt sie im Menschen Positives.
5. Und jetzt verstehen wir auch den Schluss des Evangeliums: „Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe. Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.“ In bildhafter Sprache soll hier gesagt sein: Wenn wir uns nicht Erfahrungsräume der Vergebung schenken, wird das Leben zur Hölle. Denn Vergebung ist eine Erfahrung, aus der wir lernen, auch den anderen zu vergeben, wenn er an uns schuldig wird. Zurzeit läuft ein Film im Kino: Corpus Christi. Darin kommt gegen Ende der Satz vor: „Verzeihen heißt nicht vergessen. Verzeihen heißt Lieben. Jemanden trotz seiner Schuld zu lieben, ganz gleich, was er getan hat.“ Ob Gott so liebt?
Franz Langstein
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