09.08.2020
Mt 14,22-33
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Ich sage da nichts Neues, wenn ich feststelle, dass sich die Kirche, wie wir sie noch kennengelernt haben, sich in einer großen Krise, ja sich in einer Umbruchsituation befindet. Stichworte wie Priestermangel, immer leerer werdende Kirchen, immens hohe Kirchenaustrittszahlen, Zusammenlegungen oder Schließungen von Gemeinden mögen hier genügen. Ja, wir leben in einer Umbruchsituation. Das alles kann man nicht mehr damit abtun, dass das nur irgendwie vorübergehend sein wird, und wenn wir nur lange genug ausharren, dann wird es schon wieder besser werden. Nein, ich glaube, dass wir in einer grundlegenden Umbruchsituation der Kirche leben. Aber um es gleich ganz klar zu sagen: nicht die Kirche bricht weg, sondern nur eine Gestalt der Kirche. Die Gestalt der Kirche, wie wir sie noch kennengelernt haben, bricht weg. Und eine neue Gestalt könnte entstehen. Das gab es im Laufe der Kirchengeschichte ja immer wieder. Solche Umbruchzeiten sind nicht einfach. Man weiß nicht, wo es hingeht. Das Alte bricht weg, das Neue ist noch nicht sichtbar. Manche erfüllt es mit Sorge, gar mit Angst, Wut oder Enttäuschung.
2. Wir sind vielleicht in einer ähnlichen Situation wie die Jünger, von denen uns heute berichtet wird, dass sie auf Geheiß Jesu mit einem Boot zum anderen Ufer vorausfahren sollen. Unterwegs hatten sie viel Gegenwind und ihr Boot wurde von den Wellen hin und her geworfen. Das sind vertraute Geschichten mit ebenso vertrauten Bildern. Diese nautischen Symbole waren in der Antike vertraut. Das Bild von der aufgewühlten See ist ein Bild des Lebens. Und das Boot wird gern benutzt als Bild für Vertrautes und für das, was Halt gibt und hilft, die Wogen des Lebens zu bestehen, um das andere Ufer zu erreichen. Gerade die Jünger waren ja mit den Booten auf vertraut. Viele von ihnen waren Fischer. Sie kannten sich aus. Sie wussten, wie man durch hohe Wogen navigieren musste; sie wussten das Wetter zu deuten, sie kannten die Gefahren. „Das Boot war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind.“ Das dürfte für die erfahrenen Fischer kein Problem darstellen. Aber jetzt kommt etwas ganz Neues: „In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst.“ Das haut jeden noch so erfahrenen Fischer um. Und Petrus ist der erste, der Klarheit haben will: „Wenn du es bist, dann befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme. Und Jesus sagt: Komm!“
3. Wir müssen das jetzt mal auf der bildhaften Ebene tiefer betrachten, was da eigentlich passiert. Jesus verlangt von Petrus auf dessen Wunsch, das Boot zu verlassen. „Komm“, sagt er. „Steig aus; verlass das Sicherheit gebende Boot.“ Ich will dazu eine kleine Begebenheit erzählen. Auf einer Dekanatskonferenz im Bistum Fulda – vor vielen Jahren – bat uns der damalige Bischof, wir mögen doch bitte mehr darum beten, immer klarer den Willen Gottes zu erkennen. Gerade jetzt, in der schwierigen Zeit der Kirche, wäre es wichtig, dass wir den Willen Gottes erkennen. Wohin will Gott seine Kirche führen? So etwas klingt immer fromm und gut. Nur: Ich fühle mich bei solchen Sätzen nie ganz wohl. Ich habe geantwortet: „Was ist, wenn Gott uns unzweifelhaft seinen Willen kundtut und wenn wir ganz klar im Lichte Gottes erkennen, was Gott von uns will, dann wüssten wir, was Gott will und wir müssten das auch dann tun. Was ist aber, wenn Gott wollte, dass wir verheiratete Männer zu Priestern weihen und Frauen zum Priesteramt zulassen sollen. Ausschließen können wir das ja nicht. Dann aber hätten Sie, Herr Bischof, ein ganz gewaltiges Problem, denn sie müssten jetzt tun, was Gott will. Es ist nicht immer gut, zu wissen, was Gott will“. Was ich damit sagen wollte: Wenn Gott auf den Menschen zukommt, dann ist das nicht immer eine angenehme Sache. Dann ist das nicht immer trostvoll. Dann gibt das nicht immer Halt. Das Gegenteil kann auch sein: Eine Gottesbegegnung oder –offenbarung kann erschütternd sein. Altes und Vertrautes kann ich Frage gestellt werden. Das Leben erscheint plötzlich in einem anderen Licht, das kann unsicher machen. Gott zu erfahren: Das ist nicht immer was für schwache Nerven. Und schon sind wir wieder in der Geschichte. Die Jünger sehen Jesus auf sie zukommen, nur schwach, gespensterhaft. Aber das genügt. Sie bekommen es mit der Angst zu tun. Petrus ist bereit, das Sicherheit gebende Boot zu verlassen. Das ist die Konsequenz dieser Begegnung. „Komm“, bekräftigt ihn Jesus. Petrus steigt aus und säuft ab. Und Jesus zieht ihn Wogen heraus. „Du Kleingläubiger“ schallt ihn Jesus. Der Mut wurde nicht belohnt, könnte man meinen. Petrus hat den Ausstieg gewagt, ging aber unter. Aber Petrus hat eine Erfahrung mehr: Er hat erfahren, dass er im Untergang nicht untergeht, sondern herausgezogen wurde. Man muss vielleicht bis zum Äußersten gehen, um zu erfahren, dass man trotzdem nicht untergeht. Man muss also zuerst untergehen, um zu erfahren, dass man nicht untergeht.
4. Und jetzt kommen wir wieder zurück: die Zeichen unserer Zeit sagen uns, dass die uns vertraute Gestalt der Kirche wegbricht. Und damit brechen Halt und Sicherheit weg. Wir sehen irgendwas nebulös, wir spüren, dass was im Umbruch ist, wir wissen aber nicht, in welche Richtung sich die Kirche entwickelt. Wir sehen wie die Jünger eher Gespensterhaftes, keine klare Gewissheit, was Christus von uns will. Aber wir sind vielleicht gar nicht die, die Antworten haben. Vielleicht ist die Kirche eher eine Gemeinschaft, die Fragen hat, tiefer gehende Fragen. Aber doch spüren wir einen Anruf: „Komm“, hab Mut, lass die alte Gestalt der Kirche los, Neues wird werden. Und dann müssen wir loslassen und uns öffnen für Neues. Und es kann uns wie Petrus gehen, der erst im Untergang erfahren darf, dass er gehalten ist. Vielleicht erfahren wir erst im Loslassen, dass das Neue uns schon trägt?
Franz Langstein
Katholisches Pfarramt
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