06.12.2020
Der Mensch als Wartender
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Ich möchte heute die kleine Predigtreihe zum Advent fortsetzen. Wir habe das letzte Mal kritisch den Satz betrachtet: „Der Advent ist eine Zeit der Erwartung“. Wir haben gesehen, dass religiöse Erwartungen, die oft fordernd daherkommen („Gott muss mir doch helfen. Ich erwarte von ihm seine Gnade, seine Treue usw.“), nichts über Gott selbst aussagen, sondern etwas über die Gottesvorstellungen des Menschen. Er tut damit kund, wer Gott für ihn ist. Damit wird Gott festgelegt. Solche Erwartungshaltungen zerbrechen sehr schnell an den Realitäten des Lebens und werden daher notwendig enttäuscht, denn Gott lässt sich nicht festlegen. Diese Enttäuschungen können schmerzvoll sein, sind ein notwendiger Durchgang und religiös sehr heilsam. Denn diese enttäuschten Erwartungen können zu einer vertieften Gottesbeziehung führen. Ich erwarte nichts mehr von Gott, ich fordere nichts von ihm, ich benutze ihn nicht für meine Interessen, sondern ich lerne, auch im Unbegreiflichen Gott zu vertrauen. Der Mensch wandelt seine Erwartungen ins vertrauensvolle Warten. Der Advent ist also weniger eine Zeit der Erwartungen, sondern eine Zeit des Wartens. Erwartungen sind mit Forderungen verbunden, manchmal mit Misstrauen; das Warten dagegen ist Ausdruck des Vertrauens. Heute geht es also um das Warten als eine menschliche Grundhaltung.
2. Kommt der Mensch heraus aus den Erwartungen an Gott und findet er zu einem echten Warten, dann ändert sich radikal seine Gottesbeziehung. Der, der etwas von Gott erwartet, will auch etwas von Gott haben: Gesundheit, gutes Leben, Vergebung der Sünden, ewiges Leben, die Liebe Gottes, gute Gefühle beim Beten usw. Der Mensch, der im Erwarten stecken bleibt, bleibt in der Struktur des Habenwollens stecken. Er will immer nur etwas von Gott. Wer dagegen in die Haltung des Wartens kommt, der durchbricht die Struktur des Habenwollens. Erich Fromm hat gesagt: „Er durchbricht die Habenstruktur seiner Existenz.“ Das Erwarten will etwas. Das Warten ist absichtslos. Dieses absichtslose Warten hat seinen Grund in einem tiefen Vertrauen. Er muss nicht haben, er kann vertrauen, dass er schon längst in einer viel tieferen Geborgenheit bei Gott angekommen ist, als er es jemals erwarten könnte.
3. Aber dieses tiefe Geborgensein in Gott ist eben noch nicht unbedingt erfahrbar, sichtbar. Die Geborgenheit in Gott ist selbst verborgen. „Gottheit tief verborgen“, hat Thomas von Aquin gedichtet. Er meinte damit zwar das heilige Altarsakrament, man könnte es aber genauso auf unser Leben hin deuten: „Gottheit tief verborgen“. In meinem Leben. Und Warten bedeutet: sich dieser verborgenen Wirklichkeit zu öffnen, aus ihr zu leben und auf ihr Offenbarwerden zu warten, liebevoll zu warten.
4. Und damit kommen wir wieder zum Advent als die Zeit des Wartens oder besser: Als die Zeit der Einübung in das Warten. Einüben in das Warten meint: Der Mensch muss lernen, zwischen dem Irdischen und der verborgenen göttlichen Wirklichkeit zu leben. Er muss lernen, dass sein Leben irdisch ist, das heißt geprägt von Hinfälligkeit, Vergänglichkeit, Leiderfahrungen, Erfahrungen von Grenzen und Unvermögen, Schulderfahrungen, Enttäuschungen, Einsamkeit, Krankheit, Unglück. All das gehört auch zum Leben. Das nimmt uns keiner weg. Es wäre vermessen, von Gott zu erwarten, er möge uns davor bewahren. Das würde bedeuten, er müsse uns vor unserem Menschsein bewahren. Das Irdische ganz und gar annehmen. Und auf der anderen Seite lebt der Mensch in einer großen Hoffnung: Es ist die Hoffnung und Sehnsucht, dass er eine tiefe Geborgenheit und Liebe erfahren möge, dass seinem Leben nichts passiert, dass er doch diese irdische Wirklichkeit nicht die einzige sei, dass es einen tieferen Sinn geben möge. Der Mensch tastet nach dem Ewigen. Der gläubige Mensch weiß im Glauben aber nun: Es ist ihm bereits geschenkt. Es ist noch nicht offenbar. Aber in beiden lebt der Mensch: Im Irdischen und im verborgenen Himmlischen. Deshalb lebt in der Haltung des Wartens. Warten bedeutet: Vertrauensvoll dazwischen zu leben: Zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen. Das ist der Advent. Der Mensch lebt im Advent.
5. Und wenn wir dann Weihnachten feiern – und genau deshalb tun wir das – dann feiern wir jedes Jahr aufs Neue, dass Gott unser Warten mehr beschenkt, als wir je zu hoffen wagten. Er beschenkt unser Warten mit sich selbst, mit seiner Ankunft. Unser Warten erfährt die selige Erfüllung seiner Herrlichkeit. Und wir bleiben weiterhin Wartende, weil auch das nur in der Verborgenheit eines Kindes geschieht. Wir bleiben Wartenden, bis es offenbar wird, wenn wir das liebevolle Antlitz Christi von Angesicht zu Angesicht schauen werden.
Franz Langstein
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